Am nächsten Morgen weckt mich das leise Knistern des Holzes im Kamin. Das Haus ist still, bis auf das gedämpfte Geräusch von Lily, die mit meiner Mutter unten in der Küche plaudert. Ich reibe mir die Augen und bleibe noch einen Moment liegen, während die Erinnerungen an den gestrigen Abend durch meinen Kopf schwirren. Simons Worte, sein Blick, die plötzliche Nähe, die mich überrascht hat – alles fühlt sich so nah und doch so unwirklich an.
„Mama! Bist du wach?“ Lilys Stimme dringt durch die Tür, bevor sie sie öffnet. Ihr Gesicht leuchtet vor Begeisterung. „Oma macht Pfannkuchen! Kommst du runter?“
„Ich komme gleich, Schatz.“ Ich lächle und schwinge meine Beine aus dem Bett.
Unten in der Küche herrscht bereits reges Treiben. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und Butter erfüllt den Raum. Meine Mutter wirbelt zwischen Herd und Tisch umher, während Lily mit einer kleinen Schürze beschäftigt ist, Teig in eine Pfanne zu gießen.
„Guten Morgen.“ Simon sitzt bereits am Tisch, eine Tasse Kaffee in der Hand, und schenkt mir ein warmes Lächeln.
„Morgen.“ Ich nicke ihm kurz zu und setze mich.
„Wie hast du geschlafen?“ fragt er beiläufig.
„Gut. Und du?“
„Auch gut. Der Schnee macht alles so still – fast wie ein natürlicher Schalldämpfer.“
Lily dreht sich um und grinst. „Simon, willst du meinen Pfannkuchen probieren? Oma sagt, er ist perfekt!“
„Natürlich!“ Simon lehnt sich vor, als Lily stolz einen goldenen Pfannkuchen auf seinen Teller legt.
„Du wirst die Wahrheit sagen, oder?“ Sie stemmt die Hände in die Hüften.
Simon schneidet ein Stück ab, probiert es und nickt ernst. „Das ist wahrscheinlich der beste Pfannkuchen, den ich je gegessen habe.“
„Wirklich?“ Lilys Augen leuchten, und ich kann nicht anders, als zu lächeln.
„Wirklich“, bestätigt Simon.
Nach dem Frühstück beschließt Lily, mit meiner Mutter ins Dorf zu gehen, um ein paar Zutaten für das Abendessen zu besorgen. Das Haus wird plötzlich ruhig, und Simon und ich stehen uns in der Küche gegenüber.
„Möchtest du noch einen Kaffee?“ frage ich, um die Stille zu füllen.
„Gern.“ Er reicht mir seine leere Tasse, und unsere Hände streifen sich kurz.
„Also“, beginnt er, während ich die Tasse fülle. „Hast du schon Pläne für den Tag?“
„Noch nicht.“ Ich stelle die Tasse vor ihn und setze mich. „Ich wollte vielleicht ein bisschen spazieren gehen.“
„Klingt gut. Darf ich mitkommen?“
„Wenn du möchtest.“
Wir machen uns wenig später auf den Weg. Die Sonne glitzert auf dem Schnee, und die klare Luft beißt leicht in meine Wangen. Simon läuft neben mir, seine Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben.
„Es fühlt sich gut an, wieder hier zu sein“, sagt er nach einer Weile.
„Ja?“ Ich sehe ihn an.
„Ja. Ich habe das Gefühl, dass ich hier wieder zu mir selbst finde. In der Stadt war alles so hektisch, so oberflächlich.“
Ich nicke. „Ich weiß, was du meinst. Hier ist alles… einfacher.“
„Und echter“, fügt er hinzu.
Wir gehen weiter, bis wir den kleinen gefrorenen Bach erreichen, der sich durch den Wald schlängelt. Simon bleibt stehen und dreht sich zu mir um.
„Peggy, darf ich dich etwas fragen?“
„Natürlich.“
„Was ist der eigentliche Grund, warum du hierher zurückgekommen bist? War es nur Lily, oder gab es noch etwas anderes?“
Ich zögere, suche nach den richtigen Worten. „Es war vor allem Lily. Aber auch ich… ich brauchte eine Pause. Nach der Scheidung hatte ich das Gefühl, dass ich mich verloren habe. Und hier… hier fühle ich mich wieder wie ich selbst.“
„Das kann ich verstehen.“ Seine Augen sind sanft, und für einen Moment fühlt es sich an, als könnte er alles sehen, was ich fühle.
Als wir zurück zum Haus kommen, steht meine Mutter mit verschränkten Armen auf der Veranda.
„Ich wollte gerade anrufen“, sagt sie. „Lily hat gefragt, ob sie bei ihrer neuen Freundin Emma bleiben darf. Ich habe zugestimmt, wenn es für dich in Ordnung ist.“
„Natürlich.“ Ich lächle. „Lily scheint sich hier wirklich wohlzufühlen.“
„Das tut sie.“ Meine Mutter mustert Simon kurz, bevor sie ins Haus zurückgeht.
„Scheint, als hätten wir den Nachmittag für uns“, sagt Simon und lächelt leicht.
„Scheint so.“
Wir verbringen den Rest des Tages damit, alte Wege zu erkunden und Erinnerungen auszutauschen. Simon erzählt mir von seinen Reisen und den Herausforderungen, die er in den letzten Jahren gemeistert hat. Ich merke, wie leicht es ist, mit ihm zu reden, wie die Worte einfach fließen.
Als die Sonne untergeht, kehren wir zum Haus zurück. Der Himmel ist in warme Farben getaucht, und die ersten Sterne blinken am Horizont.
„Danke, dass du mich heute begleitet hast“, sage ich, als wir die Veranda betreten.
„Danke, dass du mich mitgenommen hast.“ Sein Blick bleibt einen Moment an mir hängen, und ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt.
„Gute Nacht, Simon.“
„Gute Nacht, Peggy.“
Er dreht sich um und geht in Richtung seines Zimmers. Ich bleibe noch einen Moment stehen und sehe ihm nach, bevor ich ins Haus gehe.
Während ich mich auf den Abend vorbereite, denke ich an die Zeit, die wir heute miteinander verbracht haben. Vielleicht ist es tatsächlich möglich, alte Wunden zu heilen und neu anzufangen. Doch ein Teil von mir bleibt vorsichtig, unsicher, ob ich bereit bin, mein Herz wieder zu öffnen.