"Reich sind nur die, die wahre Freunde haben."
Thomas Fuller
Anna
“Süße, ich muss eine Notfallsitzung einberufen.”, verkünde ich aufgeregt. Seit dem ich es vorhin erfahren habe, bin ich gleichsam traurig wie sauer. Wie konnte Stefanie Sebastian so etwas antun?
“Klar doch.”, erwidert Daisy. “Du klingst ja total aufgeregt. Ist was passiert?”
Ich nicke. “Und ob. Ich brauche euren Rat und eure Hilfe.”, eröffne ich meiner besten Freundin.
“Klar, wenn wir helfen können, werden wir es tun. Ich denke, da spreche ich für uns alle.”
“Gut. Ich danke dir! Ich geb noch den anderen bescheid.”, erkläre ich erleichtert. “Dann heute um 20 Uhr zu Hause.”
“Ist gut.”
“By.” Ich lege auf und rufe gleich im Anschluss nacheinander die Jungs an. Besonders auf Dan's Hilfe hoffe ich.
Nach dem Essen sitzen wir alle in unserem gemütlichen Salon. Ich spüre, dass alle darauf warten, dass ich ihnen eröffne was mir auf dem Herzen liegt, so das ich um eine Sitzung gebeten habe. Aber ich warte noch auf jemanden. Auf Seb nämlich. Ich denke, wenn sie ihn gleich kennenlernen, würden sie eher zu einer Entscheidung kommen. Es klingelt an der Haustür. Eilig, bevor irgendjemand anderes mir zuvorkommen kann, renne ich zur Tür. Seb steht in seiner typischen Lederjacke an der die Wassertropfen Wettrennen veranstalten und mit einer kleinen Reisetasche in der Hand davor und sieht mir mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck entgegen. Das Wasser läuft im aus dem Haar. “Da bin ich.”
“Das sehe ich. Komm rein!”, antworte ich und greife nach seinem Arm um ihn aus dem Regen zu ziehen. “Willst du … nein besser, du gehst erstmal duschen, sonst erkältest du dich noch.”, murmle ich aufgeregt.
“Das bisschen Regen bringt mich schon nicht um, Schwesterherz. Lass es uns hinter uns bringen.” Seine Stimme klingt belegt. Er scheint ebenfalls aufgeregt zu sein.
“Na gut, wie du willst.” Ich wende mich der geöffneten Tür zum Salon zu. “Dann komm mal mit!”
Ich gehe vor und mein älterer Bruder folgt mir.
Neugierig richten sich die Blicke der anderen auf ihn als wir gemeinsam den Raum betreten. Besonders Daisy mustert ihn eingehend. Seb war das sicher schon gewohnt. Seitdem er in der Pubertät zum Mann gereift war, verdreht er der weiblichen Bevölkerung in seiner Umgebung den Kopf. Seine Freundinnen wechselte er fast schon so häufig wie Unterwäsche. Doch in den letzten Jahren änderte das sich. Oder vielmehr, er änderte sich. Treu und aufrichtig war er Stefanie gegenüber und wurde derart hinterhältig von ihr betrogen. Das hatte er wirklich nicht verdient! Aber genau aus diesem Grund waren wir heute hier. Ich wollte meine Freunde und Mitbewohner bitten ihn ebenfalls bei uns aufzunehmen. Platz ist hier ja genug. Und da Sebastian eh die meiste Zeit auf der Arbeit ist, dürfte er kaum auffallen.
“Ihr erinnert euch doch an Sebastian?”, eröffne ich nun das Gespräch.
Zustimmendes Gemurmel.
Wir setzen uns, ich in den Sessel vor dem Kamin und er auf die Lehne neben mich.
“Folgendes ist geschehen …”, beginne ich und suche ganz gezielt Dan's Blick, denn er ist es dem dieses Haus gehört. “... Stefanie, Seb's Frau …” Seb zieht zischend die Luft ein. Schnell berichtige ich mich. “... ähm ehemalige Freundin hat ihn … hat ihn betrogen.” Vorsichtig sehe ich von unten zu ihm auf. Seine blauen Augen starren dunkel ins Leere. “Sie hat ihn ausgenommen wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans.”, fahre ich fort und sehe nacheinander meine Freunde an. “Sie hat das Haus und den größten Teil seines Ersparten. Er … er weiß nicht wohin. Hier in England hat er ja nur mich.” Schließe ich und hoffe alles wichtige gesagt zu haben um so der beschämenden Frage ausweichen zu können.
Dan sieht erst mich dann meinen Bruder an. “Du brauchst ein Zimmer?”
Seb nickt stumm.
“Ja, genau. Das wäre prima!”, mische ich mich rasch ein, erleichtert das Dan es war der diese Frage gestellt hat. “Oben ist doch noch ein Zimmer frei. Wäre es in Ordnung, wenn er dort einzieht?”
Alles schweigt. Daisy beobachtet Sebastian und Dan scheint überlegen zu müssen.
Um Sebastians Chancen zu erhöhen beschließe ich noch ein wenig Werbung für ihn zu machen. “Seb ist Polizist.”
Daisy's Augenbrauen schießen in die Höhe.
“Genauer gesagt gehöre ich einer Spezialeinheit an.”, stellt Seb richtig.
“Ja, alles streng geheim.”, lache ich.
“Na ja, nicht total. Nur so viel, ich verdiene Geld und das ist doch die Hauptsache oder?” Er sieht Dan an.
Der angesprochene sieht auf und nickt abwesend, schließlich sagt er, “Dann stimmen wir ab."
Alle setzen sich etwas aufrechter hin.
"Wer ist dafür, dass Sebastian hier einzieht?", ruft Dan.
Alle Hände gehen in die Höhe.
Dan registriert es und wendet sich wieder meinem Bruder zu, “Also ich denke das war eindeutig. Kein Problem also.”
Einfach so. Das hätte ich nicht gedacht.
Plötzlich kommt Leben in Sebastian. “Das ist klasse, Kumpel! Ich zahle natürlich Miete, kein Problem!”
Dan winkt ab. “Miete zahlt hier keiner. Das Haus gehört meiner Familie. Aber alle beteiligen sich an den Fixkosten. Wenn du da …”
“Klar, kein Ding.”, beeilt sich Seb zu sagen.
“Gut …” Dan erhebt sich und tritt auf meinen Bruder zu um ihm die Hand zu reichen. “... dann herzlich willkommen hier bei uns!”
Freudestrahlend schlägt Seb ein.
“Einen Schlüssel müssen wir erst noch nachmachen lassen.”
“Klasse. Danke.”
Daisy steht ebenfalls auf und begrüßt Seb hier bei uns im Haus. “Dafür sind doch Freunde da.”, verkündet sie und spricht wohl für uns alle. Freundlich und absolut typisch für sie nimmt sie Seb in die Arme.
Überrascht raunt er, “Wir sind Freunde?”
“Na, ich hoffe doch, wir werden es.”, lacht sie strahlend.
Dan's Blick fliegt zwischen den beiden hin und her. Die anderen mögen ja nicht darauf achten, aber mir entgehen seine qualvoll zusammengepressten Lippen nicht. Mit einem Mal, als würde er einen Themenwechsel herbeisehnen verkündet er mit belegter Stimme, “Das muss gefeiert werden. Wer will was trinken?”
Alle wollten und so gingen wir für einen Absacker in die 'Star Tavern' zu gehen. Unser zweites Wohnzimmer und praktischerweise gleich um die Ecke.
“Und das Haus gehört Dan, ja?”, fragt Seb als wir später allein in der Waschküche im Keller sind und er mir hilft die saubere Wäsche zusammen zu legen und eine neue Maschine anzuschmeißen. Alle anderen waren bereits zu Bett gegangen. Wie so oft bin ich die letzte die auf ist. Das macht das ständige um die Häuser ziehen. Ich bin, und war es auch schon immer ein Nachtmensch. Schlafen kann ich noch genug wenn ich tot bin.
“Ja klar doch. Es gehört seiner Familie.”
“Sind die reich oder so was?”
Über seine Unwissenheit muss ich lachen. “Ob seine Familie reich ist?”
“Was … was ist so lustig?”, fragt mein großer Bruder verständnislos.
“Deine Unwissenheit.”, schaube ich. “Du weißt wirklich nicht wer er ist?”
Er schüttelt den Kopf. “Nein, woher denn auch?”
Ich werfe ein Handtuch zurück in den Wäschekorb und lehne mich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Wand neben mir. “Er ist ein Earl. Genauer der 9. Earl of Embley. Das ist so eine Grafschaft im Norden.”
Er pfeift durch die Zähne.
“Das Haus ist eines von vielen Immobilien die seine Familie besitzt. Und sein Dad war so freundlich es uns zu überlassen. Vor etwas über einem Jahr ist er allerdings überraschend gestorben und Dan wurde von einem Tag auf den nächsten ein respektables Mitglied der oberen Gesellschaft.” Ich zeichne mit gekrümmten Fingern Gänsefüßchen in die Luft.
“Okay. Ist ja krass!” Seb nickt verständig.
“Ja, oder! Der Tod seines Vaters machte ihm sehr zu schaffen. Es war alles ein wenig zu viel für ihn.”
“Kann ich mir vorstellen.”, brummt Seb. "Wie ist er denn gestorben? Du meintest es war plötzlich."
Ich stöhne bei der Erinnerung an diese schwere Zeit. "Er ist mit seinem privat Heli in die Luft geflogen?"
Er reißt die Augen auf. "Eine Bombe?", keucht er.
Schnell schüttle ich den Kopf. Da hatte ich mich falsch ausgedrückt. "Nein. Oh mein Gott! Nein. Er ist abgestürzt.", stelle ich klar.
"Ach so. Scheiße!"
"Ja, das war es.", murmle ich.
“Aber zum Glück für ihn hat er ja uns.”, lache ich. “Besonders Daisy hilft ihm.”
“Inwiefern?”
“Zu dem Familienanwesen seiner Familie gehören einige Morgen Landwirtschaftliche Fläche. Als Anwalt kennt er sich mit sowas überhaupt nicht aus.”
“Aber es wird doch wohl einen Verwalter oder so was geben?”
Ich nicke. “Klar gibt es den. Aber auch Daisy berät ihn.”
“Daisy? Ist sie eine Bauerstochter?”
Der Gedanke an Daisy mit Kopftuch und Mistgabel in der Hand lässt mich kichern. Schnaubend stelle ich klar, “Nein, überhaupt nicht. Aber ihre Großeltern hatten einen Bauernhof und da hat sie einiges mitbekommen.”
“Ach so. Ist ja nett von ihr.”
“Hm … sie macht es ja nicht ganz uneigennützig denke ich.”, überlege ich laut.
“Wie meinst du das?”
“Ich denke, sie hat ein Auge auf Dan geworfen. Ich kann sie verstehen. Wer könnte das nicht?” Sebastian verdreht die Augen. “Zugeben würde sie das ihm gegenüber zwar nie. Und es ist auch nicht kompatibel mit unseren WG Regeln. Stattdessen schiebt sie das ausreiten mit Dan's Pferden als Ausrede vor um Zeit mit ihm allein zu verbringen.”
“Ihr habt Regeln? Ist ja nett, dass ich das auch schon erfahre.”, brummt mein Bruderherz.
“Klar haben wir Regeln. Wie sollte sonst das Zusammenleben zwischen Männern und Frauen funktionieren?”
Er nickt und fährt sich grinsend mit der Hand durch das dunkle Haar.
Schweigen breitet sich aus. Ich nehme meine Arbeit wieder auf als er kurz darauf fragt, “Und, verrätst du sie mir oder erfahre ich sie in einer geheimen nächtlichen Zeremonie?”, lacht Seb.
“Was?” Verständnislos starre ich ihn an.
“Die Regeln.”, hilft er mir auf die Sprünge. “Wie lauten sie?”
“Ach so. Na ja …” Ich deute mit dem Zeigefinger eine eins an. “... Erstens: du beteiligst dich an den Haushaltspflichten.”
Er nickt zustimmend und hört mir abwartend schweigend zu. Ich halte zwei Finger in die Höhe. “Zweitens: du musst, wenn du an der Reihe bist einkaufen gehen. Da du ein Auto mitbringst wird es dich sicherlich öfters treffen.” Lachend strahle ich ihn an. Sonst hat nur Dan ein Auto. Bisher hat er die Wocheneinkäufe bei M&S gemacht. Nun würde er Hilfe bekommen. Vielleicht war das ja auch der Grund weshalb er zugestimmt hat Seb bei uns aufzunehmen?
“Und weiter?”, fragt er.
“Drittens: Teilnahmepflicht bei den Versammlungen.”
“Was denn für Versammlungen?” Verständnislosigkeit breitet sich auf seinem Gesicht aus.
“Wenn etwas ansteht was besprochen werden muss. So wie deine Aufnahme heute zum Beispiel. Jeder kann alles sagen und vorschlagen. Wir besprechen es dann.”
“Verstehe. Ihr seid eine Demokratie.”
Ich nicke zustimmend. “Ganz genau, Bruderherz. Und nun bist du Nutznießer derer.”
Seb lächelt breit. Ich fahre fort, “Vierte Regel, und das ist die wichtigste: fang nichts mit einem Mitbewohner an.”
“Echt jetzt? Ihr habt noch nie miteinander rumgemacht?”
Redlich nicke ich. “Noch nie. Obwohl …”
Grinsend kommt er auf mich zu. “Ja …”
Grinsend fahre ich fort, “... Dan ist schon sehr süß! Seine Augen sind der Hammer.”
Seb zuckt die Schultern. “Kann ich nicht beurteilen. Ich steh nicht auf Männer.”
Salopp schlage ich ihm gegen die Brust. “Ich weiß. Ich will damit auch nur sagen, träumen ist erlaubt, aber Hände weg von meiner Freundin!”
Ergeben hebt er beide Hände. “Schon gut. Reg dich ab! Ich lass sie in Ruhe. Aber Dan darf oder was?”
“Was? Nein!", echauffiere ich mich. "Auch wenn er ein Earl ist, gelten dieselben Regeln auch für ihn."
Lachend schüttelt mein Bruder den Kopf.
"Was ist?", hake ich nach. Irgendwas führt er im Schilde. "Seb, ich mein's ernst. Hände weg von Daisy!"
Ergeben hebt er die Hände.
“Gut.”, nicke ich, mustere ihn eingehend und drehe mich wieder zum Trockner um. Doch die Arbeit war erledigt, er war leer. “So wie es aussieht haben wir Feierabend. Ich geh' ins Bett.”
“Mach das. Ich bleib noch etwas auf. Muss mir über einige Dinge klar werden.” Gemeinsam gehen wir hinauf in das Erdgeschoss. Im Foyer sagen wir uns 'Gute Nacht'.
Liebevoll schlinge ich meine Arme um seinen Hals. “Geh nicht zu spät schlafen!”
“Ja Mom.”, zieht er mich auf und drückt mich an sich und raunt mir ins Ohr, “Danke, dass du das für mich getan hast!”
“Kein Problem. Dafür sind kleine Schwestern doch da.”
“Na ja, ich denke, es ist eher anders herum, dass große Brüder auf ihre jüngere Schwester aufpassen sollten, aber dennoch bin ich dir sehr dankbar, Anna!” Er küsst mich auf das Haar. “Gute Nacht.”
“Gute Nacht.”, hauche ich ehe ich ihn allein lasse.