"Kein Weg ist lang, mit einem Freund an deiner Seite."
Japanische Weisheit
Dan
Beim hinuntergehen komme ich an der geschlossenen Tür den Gästezimmers vorüber hinter der seit gestern Abend Sebastian wohnt. Noch ein Mitbewohner mehr. Aber mir soll's recht sein, solange er seine Finger von Daisy lässt. Platz haben wir hier genug. Und Sebastian scheint mir ein fähiger Mann zu sein. In der Zeit wo ich in Embley bin kann er auf das Haus und die Mädels aufpassen. Zwar haben wir eine Alarmanlage, aber ein wachsames Ohr mehr kann nicht schaden. Aber käme ich mit der Nähe zwischen ihm und ihr klar? Keine Ahnung. Sicher nicht. Die Blicke die er ihr gestern Abend zugeworfen und wie sie mit schüchternen Lächeln geantwortet hat haben mir schon gereicht.
“Guten Morgen.”, rufe ich betont freundlich beim betreten der Küche. Zeit die dunklen Gedanken beiseite zu schieben.
Es duftet nach frisch aufgebrühten Kaffee und Rühreiern.
Daisy sitzt allein am Tisch und sieht auf als sie mich kommen hört. “Guten Morgen, Schatz.”
Schatz. Ihr Kosename für mich. Ich hingegen nenne sie mein Sweetheart. Fast als wären wir zusammen. Auch für die anderen hat sie Kosenamen. Das ist so ihr Ding. Bin schon gespannt was sie sich für Sebastian ausdenkt. Eine weitere Tradition die wir ihr zu verdanken haben ist das allmorgendliche ausgiebige frühstücken. Daisy vertritt die Auffassung, dass ein Tag nur dann wirklich erfolgreich werden kann, wenn er mit einem ordentlichen Frühstück beginnt.
“Hast du gut geschlafen?” Ihr Standardspruch. Nochmal typisch Daisy, erkundigt sich immer nach unserem Befinden. Und wehe, einem geht es mal schlecht. Dann ist sie sofort zur Stelle und kümmert sich rührend und aufopferungsvoll.
“Na klar. Und du?”, entgegne ich und hole mir Geschirr aus dem Schrank.
“Auch. Hast du oben Sebastian gesehen?”
Ihre Worte versetzen mir einen Stich in der Magengegend. Ich schüttle den Kopf und verneine.
Sie zuckt die Schultern. “Na ja vielleicht ist er ein Langschläfer?”, mutmaßt sie.
“Ja, kann sein.”, murmle ich. Um das Thema zu wechseln frage ich, “Und, hast du es dir überlegt?”
Sie dreht den Kopf so das sie mich ansehen kann und fragt, “Was meinst du?”
“Kommst du heute Nachmittag mit?”
“Ach so.” Erkenntnis erhellt ihr Gesicht. “Klar doch.” Sie wendet sich wieder ihrem Rührei zu. “Ich hab mir frei genommen.”
Zufrieden setze ich mich neben sie und greife mir die Kaffeekanne. Die Zeit die Daisy und ich allein auf Embley verbringen genieße ich immer besonders. Dieses Mal würde zwar am Samstag die Bude voll von Freddy’s Gästen sein, aber die zwei Tage bis dahin hatte ich sie ganz für mich allein.
Jeden Donnerstag zieht es mich von der Stadt hinaus aufs Land. Genauer nach Embley. Nicht weil ich das Landleben so liebe, sondern weil es meine Pflicht ist. Ich, Daniel Edwards, 9. Earl of Embley habe seit mein Vater vor circa einem Jahr mit seinem Helikopter verunglückt ist, nicht nur deren Titel sondern auch deren Pflichten übernommen. Embley Abbey, der Hauptwohnsitz meiner Familie väterlicherseits und die dazu gehörigen Ländereien müssen verwaltet und bewirtschaftet werden. Das war ein ganz schöner Schock damals. Vater war noch jung und lebenslustig. Doch dem Schicksal sind solche Nebensächlichkeiten egal. Es nahm mir meinen Vater auf grausame Weise und warf mich in das sprichwörtliche kalte Wasser. Von einem Tag auf den nächsten war ich ein Earl. Von einem Tag auf den nächsten hatte ich Zugriff auf ein enormes Vermögen. Bleiben Sie da mal standhaft und drehen nicht durch. Doch die Tatsache, dass ich ein gewisses Ansehen und einen Namen zu repräsentieren hatte, half mir auf dem Boden zu bleiben. Man erwartete von mir künftig nicht nur die Höfe rund um Embley zu verwalten, sich mit Pächtern, Ackerbewirtschaftung und Viehzucht herum zuschlagen, sondern auch auf Galas und Empfängen zu erscheinen, mich karitativ zu zeigen, ebenso wie es mein Vater immer mit bravour getan hatte. Und nebenher wartet man sicherlich schon gespannt auf einen Erbfolger für Embley Abbey. Doch für so etwas bin ich eindeutig noch zu jung.
“Bist du dann heute nachmittag um 4 zu Hause? Dann können wir direkt los. Ich hab' heute Abend noch einen Termin mit Spencer. ”, frage ich sie.
“Klar doch.”, sagt sie zwischen zwei Bissen. “Was wichtiges?”
"Nö, denke nicht. Er will mir irgendwas erklären." Ich zucke die Schultern. "Keine Ahnung was."
"Na ja, wenn es etwas gravierende wäre hätte er sicher nicht abgewartet bis du das nächste Mal in Embley bist.", mutmaßt sie.
"Du hast sicher recht. Freust Du Dich?"
Der Blick aus ihren strahlenden blauen Augen trifft mich. "Worauf denn?", lacht sie.
"Auf's reiten natürlich." Ich schlucke. "Worauf denn sonst.", füge ich hinzu.
"Oh ja ... klar doch."
Seelig lächelnd lehne ich mich zurück um ihrem Blick zu entkommen.
Ich weiß auch nicht weshalb ich heute so aufgeregt war Zeit mit ihr allein zu verbringen? Das taten wir doch ständig. Daisy ist ein Schatz! So oft es ihr möglich ist und sie Lust verspürt fährt sie mit mir raus und berät mich in Sachen Ackerbewirtschaftung, oder sie reitet einfach nur mit mir gemeinsam über die Ländereien. Ich kann mich gar nicht satt an ihr sehen, wie anmutig ihre Gestalt auf einem Pferderücken aussieht und ihr blondes Haar beim Galopp im Wind weht. Ihr glückliches Lachen, so glockenhell und fröhlich. Sie mag es vielleicht nicht zugeben, doch sie ist glücklich da draußen auf dem Land. Nur zu gern würde ich sie zur nächsten Countess of Embley machen. Doch das ist unmöglich. Unsere WG Regeln, die ich im übrigen selbst mit aufgestellt habe, beziehen da ganz deutlich Stellung. Nichts mit einem Mitbewohner anfangen. Aber standhaft zu bleiben und sie nur aus der Ferne und ganz im Geheimen anzuschmachten ist wirklich schwer. Besonders, wenn sie männlichen Besuch empfängt. Dann muss ich mich doch immer arg zusammenreißen um dem Kerl nicht eine zu verpassen und ihn rauszuwerfen. Und da haben wir es wieder. Genau aus diesem Grund haben wir die Regeln aufgestellt.
Meine Gedankengänge werden unterbrochen als Stimmen zu hören sind. Ben, gefolgt von Sebastian betreten den Raum und wünschen fröhlich "Guten Morgen." Sie scheinen sich gut zu verstehen, die beiden.
"Guten Morgen!", erwidert Daisy zuckersüß. "Ich habe Frühstück gemacht. Kommt und setzt euch!"
"Oh wow!", staunt Sebastian und besieht sich den vollgeladenen Tisch. "Das ist umfangreich." Erstaunt warum er so staunt, es ist doch nur Frühstück, werfe ich selbst jetzt mal einen genaueren Blick darauf. Seb hat recht. Wow! Er war wirklich überladen. Das war mir gar nicht aufgefallen. Daisy hat wirklich das volle Programm aufgefahren.
Schüchtern weicht sie Sebastian bewundernden Blicken aus und sieht auf ihre ineinander verschlungenen Hände auf der Tischplatte. "Das ist doch gar nichts.", murmelt sie kaum hörbar.
Sebastian nimmt das Geschirr das Ben ihm hinhält entgegen und setzt sich Daisy gegenüber an den Tisch. "Also wenn meine Frau mir solch ein Frühstück machen würde ... Ich würde sie nie wieder hergeben."
"Nun krieg dich wieder ein.", mischt sich in diesem Moment Anna ein die unbemerkt herein gekommen war. "Es ist nur Essen."
Alle Blicke richten sich auf sie und beobachten wie sie ihre Standard Kaffeetasse, die mit 'Daddy's little Princess' Aufdruck aus dem Schrank nimmt und sich Kaffee einschränkt. "So, ich muss mich fertig machen.", verkündet sie und winkt uns hinter ihrem Rücken zu. "Danke für's Frühstück, Daisy!" Damit verschwindet sie um für die nächste Stunde das obere Bad zu blockieren.
"Sie ist noch genauso wie früher.", bemerkt Sebastian.
"Ach wirklich?", brumme ich.
"Tja, das ist Anna wie wir sie alle kennen.", meint Daisy. "Ben, Sebastian, möchtet ihr Ei?"
"Und, für welche Aufgaben bin ich diese Woche eingeteilt?", unterbricht Sebastian nach einer Weile das genüssliche Schweigen.
"Aufgaben?", fragt Ben und spült den letzten Bissen mit einem Schluck Tee hinunter.
"Na hier in der WG.", erklärt er lachend und macht eine kreisende Bewegung des Zeigefinger in der Luft.
"Keine.", beschließt Daisy vehement. "Du hast noch Schonfrist."
Er sieht sie an. Ich ebenso, will das mir keine Regung entgeht. Ein winziger Rest Milchschaum klebt an ihrem Mundwinkel. Wie gern würde ich ihn ihr wegküssen. Sebastian scheint dasselbe zu denken, wie sein Blick vom Milchschaum zu ihren Augen wandert. "Ich bestehe darauf.", murmelt er ohne den Blick in ihre Augen zu lösen.
Plötzlich klappert etwas laut. Ben war sein Messer auf den Boden gefallen. Entschuldigend hebt er es auf und trägt es zur Spüle.
"Okay ….", lacht Daisy erleichtert, "... wenn du darauf bestehst. Du kannst mir bei dem Einkauf für Freddy's Party helfen."
"Kein Ding." Lächelnd lehnt er sich zurück.
Daisy und er allein beim shoppen. Scheiße!
"Aber das übernimmt doch der Caterer.", beeile ich mich einzuwenden.
Sie dreht ihren Oberkörper und sieht mich an. Der Milchschaum. Geschockt bemerke ich, wie sich mein Arm ganz von allein heben will und mein Daumen ihn wegzuwischen versucht. Doch Sebastian kommt mir zuvor." Entschuldige! ", raunt er und wischt ungeniert mit seinem Daumen der erstaunten Daisy den Fleck weg. Anschließend leckt er ihn mit den Worten "Du hattest du einen Rest Milchschaum." ab. Sein Blick scheint mit dem ihren verschmolzen zu sein.
"Danke." Lächelnd sieht sie ihn an und fährt sich selbst noch einmal mit dem Finger über die Mundwinkel. "Wie aufmerksam."
Er zuckt grinsend die Schultern. Täusche ich mich, oder richtet sich sein triumphierender Blick für den Bruchteil einer Sekunde auf mich.
"Ja, ich weiß, dass das alles der Caterer macht …. Aber ich habe die Geburtstagstorte bei einem Konditor hier in London bestellt und die muss abgeholt werden.", erklärt sie fröhlich.
Entweder ist ihr die aufgeladene Stimmung von gerade eben entgangen oder sie weiß es geschickt zu ignorieren." Und dann muss ich noch einiges anderes bei M&S besorgen."
"Verstehe.", murmle ich.
"Kein Problem, ich hab den Rest der Woche frei.", verkündet Sebastian gönnerhaft.
"Wirklich? Daisy's Blick fliegt von mir zu ihm." Magst du dann nicht auch mit zur Party kommen? Ich hatte dich gestern nicht gleich eingeladen, weil ich davon ausgegangen bin, dass du arbeiten musst.", entschuldigt sie sich.
"Ähm … wer hat denn überhaupt Geburtstag? Und wer ist Freddy?"
"Er ist mein bester Freund. Seit Ewigkeiten. Am Samstag wird er 30. Er hat ne Menge Freunde und weil die alle nicht in sein WG Zimmer hier in London passen würden, war Dan so freundlich ihn die Party auf Embley feiern zu lassen." Dankbar drückt sie meine Hand unter der Tischplatte.
"Okay. Verstehe."
"Wir alle schlafen dort, die anderen Gäste fahren nach der Party wieder heim oder übernachten im Gasthof im Ort. Schatz, es ist doch sicher okay, wenn Sebastian so kurzfristig auch dort übernachtet oder?" Abwartend sieht sie mir in die Augen. Ihr Kosenamen war Sebastian nicht entgangen. Förmlich kann ich sehen wie die Zahnräder in seinem Kopf arbeiten.
Siegessicher grinsend antworte ich, "Es wird sich sicher noch ein Sofa finden lassen."
Daisy zieht die Augenbrauen hoch. "Sofa? "
"Ich verarsch dich nur. Klar kann er mitkommen. Mrs. Parker wird sicher noch ein weiteres Gästezimmer herrichten können."
"Ich will aber keine Umstände machen.", wirft er ein. "Ich nehm' auch das Sofa."
"Glaub mir Sebastian, wenn am nächsten Morgen die Putzkolonne um dich herum wuselt, würdest du ein Königreich hergeben für ein abgeschiedenes, ruhiges Zimmer.", grinse ich diabolisch.
"Falls du damit auf ausschweifenden Alkoholkonsum und den daraus resultierenden Kater anspielst, muss ich dich enttäuschen. Ich kann einiges vertragen. So schnell werde ich nicht besoffen." Dieses selbstgefällige Grinsen. Doch bei Daisy scheint er erfolgreich zu sein.
Na ja, er kennt Freddy's Partys noch nicht.