Erstes Kapitel.-2

2169 Words
»Woher, wohin?« unterbrach ihn in dieser Gedankenfolge die Stimme des Bettelmönches. »Zwei Menschen, die miteinander essen und trinken, dürfen einander nichts verheimlichen;« fuhr, der Speise und dem Getränke während seiner Rede eifrig zusprechend, der Pater fort. »Geheimnisse drücken die Seele und die Seele muß frei und heiter seyn, um auch ihre Würze der lieben Gottesgabe zu verleihen. Die Kutte weis’t Scherz und Laune nicht zurück und wenn in der Brust unter ihr ein lustiges Liedlein, ein ecce quam bonum oder dergleichen sich regt, so mag es auch gern laut werden, aber versteht sich vor Bekannten, von denen man weiß, daß sie nicht Alles dem gestrengen Prior wieder zutragen. Also noch einmal, mein lieber Genosse an Gottes freier Tafel! Woher kommt Ihr, wohin wollt Ihr, wer seyd Ihr? Ich will Euch Muth, ich will Eure Zunge geläufig machen, ich will Euch den ersten Beweis von Vertrauen geben, um von Euch den Gegenbeweis zu erhalten. Ihr seht in mir den Pater Clarus Trockenbrod aus dem Minoritenkloster zu Königstein an der Höhe, und daß ich des lieben Herrgottes priviligirter Bettelbruder bin, lehrt Euch mein Zwerchsack, schmeckt Ihr in meinem Weine, erkennt Euer Gaumen aus dem trefflichen Schweinesolper des ehrlichen Metzgers zu Ellfeld.« Der junge Reisende warf einen Blick der Überraschung und des Befremdens auf den Barfüßermönch. Er betrachtete sinnend dessen Züge, dann trat ein freundliches Lächeln auf seine Lippen und, indem er die rauhe Hand des Paters ergriff, sagte er: »Wir haben uns wohl beide sehr verändert, daß wir nicht sogleich einander erkannt. Eure Veränderung mag in die Fülle und Breite, die meinige in die Höhe gegangen seyn. Der Bart um Mund und Lippe macht mich älter, während die reich blühende Röthe Eurer Wangen Euch verjüngt. Aber ich bin gewiß, daß Ihr den kleinen Salentin vom Rhein, dem Ihr so oft seine lateinische Lection überhört, nicht vergessen habt, daß Ihr noch an jene Zeit in meinem elterlichen Hause zurückdenkt, wo Ihr unter dem alten Liede: Schach-Tafelspiel Ich nunmehr beginnen will! lustiglich mit meinem Vater an das Schachbrett oder an das Mittagsmahl ginget.« »Gesegnet sey der Augenblick, in dem ich dich wiedersehe, Salentine!« rief mit freudig glänzenden Blicken der Mönch. »Heiliger Franciscus, wie ist doch aus dem zarten Knaben ein zierlicher schlanker Jüngling geworden! Wie werden die Herzen der Töchter aus den edlen Geschlechtern dir zufliegen, mi file! Diesen Trunk auf dein Wohlergehn, auf eine glückliche Zukunft!« Pater Clarus leerte bei diesen Worten seine Flasche bis auf den Grund, brachte aber gleich aus der Tiefe seines Zwerchsacks wiederum eine neue zum Vorschein, die durch ihre Größe einen noch reichern Inhalt verrieth. »Es waren schöne Zeiten damals;« fuhr der Minorit fort, »Deine Mutter, die edle Frau, hatte noch nicht das Unglück gehabt, zu erblinden, dein Vater, Herr Hanns vom Rheine, liebte fröhliche Gesellschaft und guten Wein. Früher, da du noch nicht geboren, auch noch in der Zeit, als du ein kleines Kind warst, galt dein Vater als ein gar starker und muthiger Kämpe. Er und sein wackerer Freund, Krafft zum Jungen, waren auf allen Turnieren und ritterlichen Gelagen die ersten. Wie ging es da oft hoch her im Hause Lateran, wenn die ehrbaren Geschlechter der Gesellschaft Limpurg zu Tanz und Festlichkeit versammelt waren! Der arme Bettelmönch durfte sich auch unter die Zuschauer mischen und es gab Abende, wo er von dem, was ihm vom Tafelabhub zufiel, seinen Sack wohl ein Dutzendmal füllen konnte. Sic transit gloria mundi! Vorbei ist’s mit all der Herrlichkeit. Im Hause deiner Eltern ist’s still geworden, Herr Krafft zum Jungen ist verloren und verschollen und wenn der Bruder Clarus an der Thüre vorspricht, so reicht ihm mürrisch die alte Hausmagd eine karge Gabe und Herr Hanns mag den alten frölichen Genossen nicht mehr sehn!« Salentin konnte bei den Erinnerungen, die der Barfüßer in ihm erweckte, einen tiefen Seufzer nur halb unterdrücken. »Diese traurige Umgestaltung habe ich als Kind und als Jüngling nur zu tief empfunden;« sagte er dann. »Es waren schreckliche Schläge, die freilich in langen Zwischenräumen, aber doch mit furchtbarer Zerstörung, in den Frieden unsers Familienlebens trafen. Der Verlust des edlen Hausfreundes, dessen ich mich leider nur wenig entsinnen kann, dann das Unglück der Mutter! Er, durch ein dunkles, noch immer nicht ergründetes Verhängnis erst in tiefe Schwermuth versenkt, dann plötzlich aus unserer Mitte gerissen, niemand hat jemals erfahren, wohin; sie erblindet, ihr stilles wohlthätiges Leben in Nacht versenkt! Aber laßt uns von dieser trüben Vergangenheit schweigen! Ich hoffe eine bessere Zukunft, eine glücklichere Zeit in das Elternhaus zurückzuführen. Wißt Ihr mir nichts aus der neuesten Zeit zu berichten, mein alter guter Lehrer? Habt Ihr nicht, wenn Ihr am Elternhause zuspracht, die Waise Regina etwa gesehen, die mit mir als eine Schwester auferzogen worden?« »Das arme Kind, das als ein schwacher Wurm von fremder Hand auf deiner Eltern Schwelle ausgesetzt worden?« erwiederte, ohne sich im Essen und Trinken stören zu lassen, der Mönch. »Sie ist eine liebliche Blume geworden in unsers Herrgott’s Lustgarten, von der man wohl mit den weltlichen Poeten sagen mag, sie besitze: ›Eines reinen guten Weibes Angesicht Und frölich Zucht dabei.‹ So war sie vor Jahresfrist etwan. Seitdem habe ich sie nicht gesehen, denn auch in der guten Stadt Frankfurt ist es still und unheimlich geworden. Die Häuser bleiben den Brüdern der Armuth verschlossen, so wie jeglichem fremden Gaste, weil man fürchtet, jedes Eintretenden Schritt könne die furchtbare Pestilenz, die fast ganz Deutschland mit dem großen Sterben heimsucht, die nun auch endlich über die Wälle der edlen Reichsstadt gedrungen, in ihr Innres bringen. Ja, Salentine, auch deine Vaterstadt wirst du grausam verändert finden! Grausam sage ich, denn mit seiner Knochenhand hat der Tod grausam aufgeräumt unter Vornehm und Gering. Viele Geschlechter sind ausgestorben, Kinder irren ohne Eltern umher, Eltern bejammern die frühe verlorenen Lieblinge. Todtenstille in den Trinkstuben, in den sonst so lebendigen Hallen des Lateran, Todesfurcht in allen Gemüthern! Kein fröliches Stechen mehr auf dem Römerberge, weder von Gesellen noch Rittern! Die Menschen gehn einander scheu aus dem Wege, denn jeder fürchtet den andern. Laß dich das aber nicht anfechten, mi file! Bewahre dein heitres Gemüth, denn das ist der beste Schutz gegen den bösen Odem der Pestilenz. Bringe ein fröliches Gesicht in das Haus deiner Eltern und das wird auch sie stärken und mit neuer Hoffnung erfüllen.« »Eine trübe Zeit ist über die Erde gekommen,« versetzte Salentin. »Ich habe eine weite Strecke Landes durchwandert und allenthalben bin ich auf die verheerenden Spuren der Seuche gestoßen, die aus dem Orient nach Welschland gekommen und von dort aus, durch die in alle Weltgegenden ziehenden lombardischen Krämer, ganz Europa in ihre mörderischen Arme geschlossen. Wo findet Ihr jetzt einen Ort, der noch frei von ihr geblieben wäre? Von den Grenzen des Morgenlandes bis hinauf zum hohen Norden ist die Erde ein weites Grab geworden, über dem Moderduft und giftige, todthauchende Dünste schweben. Vertrauen auf Gott und seine Heiligen, Ruhe und Heiterkeit des Gemüthes, die aus jenem Vertrauen hervorgehen, sind gewiß die besten Schutzengel gegen dieses allgemeine Mißgeschick.« »Wer will aber von ihnen wissen grade in dieser Zeit der Noth?« eiferte Pater Clarus, indem er, den Gedanken, die ihn lebhaft ergriffen, nachgebend, Speise und Trank beseitigte. »Wenn diese lieben Engelein von den Bäumen geschüttelt werden könnten, wie die reifen Äpfel und Birnen, so wär’s gut, aber nach ihnen rufen und ringen will niemand. Diejenigen, die man bisher als Diener der heiligen Kirche, als ihre Verordneten, die den Binde- und Löseschlüssel besitzen, verehrt, werden gehöhnt und gelästert. In den Klöstern herrschten Sünde und Frevel aller Art, die Weltgeistlichen lebten in Üppigkeit und Wollust und deßhalb sey die Pestilenz, als eine göttliche Strafe auf die Erde gesandt worden! So sprechen die thörigten Menschen, ohne zu bedenken, daß, ohne des Himmels Langmuth, ihre eigene Lasterhaftigkeit hinreichend wäre, alle sieben Plagen Aegyptens auf ihre Häupter zu versammeln. Heiliger Franciscus, es ist weltbekannt, daß allein an hunderttausend deiner frommen Söhne durch das grausame Sterben hingerafft worden, weil sie den bösen Odem der Krankheit nie gescheut und von einem Pestilenzhause muthig zum andern gegangen sind, um den Sterbenden das heilige Viaticum auf die letzte Reise mitzugeben! Und wir sollen die Schuld der Krankheit tragen, wir am Ende haben sie gar im heiligen Sacramente von Haus zu Haus gebracht? Wehe über die Verblendeten! Ihrer Seelen Krankheit ist schlimmer, als jede Pestilenz. An jener sterben sie ewiglich, an dieser nur zeitlich.« »Pater Clarus,« erwiederte sehr ernst der junge Mann, »über die Verdorbenheit der Geistlichkeit im Allgemeinen ist nur eine Stimme und leider ist es die Stimme der Wahrheit. Hat nicht der Kaiser selbst dieses in der öffentlichen Fürstenversammlung zu Mainz ausgesprochen und wer konnte ihn widerlegen. Die Bischöffe, die mit dem Stabe der Weisheit und Milde regieren sollen, führen Schwert und Lanze zu ungerechten Kriegen, selbst zu Überfall und Straßenraub; Prälaten, Äbte und Domherrn bringen die Tage auf der Jagd, bei Schauspielen, auf Ritterstechen zu; die Nächte bei Schmausereien, Tänzen und noch schlimmern Dingen. In den Klöstern herrschen alle Laster und eine Jungfrau zur Nonne einkleiden heißt heutigen Tages nichts anders, als sie der Sittenlosigkeit, dem Verderben preisgeben. Hat Gott diese Pestilenz, als ein Werkzeug seines Zornes auf die Erde geschickt, so tragen wahrlich die Geistlichen einen grössern Theil der Schuld, als die Kinder der Welt.«3 »Wir sind alle Menschen;« sagte verlegen der Barfüßer: »die Versuchungen des Höllenfürsten sind groß und der beste Wille vermag oft nichts gegen sie. Ich will nicht leugnen, daß die Weltgeistlichen ihre Hoffarth und ihren Leichtsinn gar zu arg zur Schau tragen, daß in manchen Klöstern mehr der Weinkrug, als das Brevier verehrt werde und daß unsre frommen Schwestern über manche ihrer Schwächen beide Augen zudrücken, um sie selbst nicht wahrzunehmen; aber übertrieben wird auch von den Feinden der heiligen Kirche Vieles und aus dem Weinkrug machen sie ein ganzes Stückfaß, aus den weiblichen Schwächen gräuliche Laster. Aber wer bringt den Clerus, dem man sonst nie dergleichen vorzuwerfen wagte, in so bösen Leumund? Niemand anders, als die gottlosen Geister, die sich selbst Papst und Bischoff seyn wollen, die der Pest nachziehn, wie die Raben dem Leichengeruche, die mit Blut und Schmerzen Absolution erkaufen und der heiligen Kirche ihr Schärflein entziehen wollen.« »Ich habe sie gesehen, diese Wüthenden!« sprach Salentin. »Als ich von Straßburg den Rhein hinaufzog, begegnete ich einem ihrer Haufen. Verheerend, wie die Heuschrecken, dringen sie immer näher. Wehe dem, der nicht mit ihnen will oder ihnen Leibespflege und Verehrung versagt! Ein entsetzlicher Wahnsinn, unter dem glühenden Himmel Italiens erzeugt, hat sie ergriffen, sie wüthen gegen sich selbst, sie verfluchen sich unter dem Bekenntnisse der schrecklichsten Verbrechen, sie verwerfen Kirche und weltliche Herrschaft, Blut soll ihnen die Gottheit versöhnen! Viele tausend Greise, Männer, Weiber, Jungfrauen und Kinder erfüllen die Kirchen und die benachbarten Plätze, ihr Jammergeheul dringt zum Himmel, ihre blutenden, entfleischten Körper erregen Abscheu und Ekel. Aber wie Viele sind nicht, denen dieser Wahnsinn nur als eine Larve niedriger Gelüste dienen muß? Da beschuldigen sie die armen Juden der Brunnenvergiftung, da brechen sie in zügelloser Wuth gegen sie los, plündern ihre Häuser, stecken diese in Brand und treiben ihre beraubten Schlachtopfer in die Flammen. Bürger und Bauern vereinigen sich mit ihnen zu diesem gräßlichen Werke und denjenigen, der nicht dem Drange des Fanatismus sich hingegeben, führt schändliche Habsucht zu Brand und Mord.« »Halt ein, Salentine, mein Sohn!« unterbrach der Minorit den entrüsteten jungen Mann. »Die Geisler sind arge Bösewichter, denn sie haben sich von Gott gewandt, indem sie die Satzungen der heiligen Kirche verwerfen. Aber in der Judenschlacht, wie sie ihr Verfahren gegen die Feinde und Mörder des Heilands nennen, mögen sie doch so unrecht nicht haben. Der Jud’ ist der ewige Christenfeind, er mischt uns Gift in jeglichem Gebete, warum sollte er es nicht in die Brunnen thun? Er treibt schwarze Kunst und weiß den Tod an die Christenheit zu bannen, während er selbst frisch und gesund in Hohn und Triumph herumstolzirt. Warum stirbt nur etwan ein Jud auf tausend Christen? Laß darin die Geister nur gewähren, mi file! Je weniger Juden, desto weniger Feinde Gottes!« Salentin fühlte sich überzeugt, daß es eitle Mühe seyn würde, das Vorurtheil des Mönches zu bekämpfen. Der Haß der Geistlichkeit gegen die kaiserlichen Kammerknechte, wie damals die Juden, welche den Schutz des Reichsoberhauptes mit schwerem Gelde erkaufen mußten, sich nannten, war zu tief in den Interessen des Clerus gewurzelt, als daß er auf irgend eine Weise zu billigern Gesinnungen hätte bekehrt werden können. Wer in jenen Zeiten eines Darlehens bedurfte, der wandte sich an eins der reichen Klöster oder an die Judenschaft. Oft aber verlangten jene höhere Vortheile, als diese und es kam nach und nach dahin, daß in dieser Rücksicht der Clerus sich den verachteten Kindern Israels nachgesetzt sah. Dann erkannte er auch mit Verdruß den steigenden Reichthum der kaiserlichen Kammerknechte, den das verschwendrische Leben der Edlen und Bürger in ihre Hände spielte und wodurch den heiligen Stiftungen so manches reiche Vermächtniß entging. Das Ansehn, zu welchem die Juden sich durch Vermehrung ihrer Capitalien erhoben, mußte der Geistlichkeit um so mehr ein Ärgerniß geben, da jene, auf den kaiserlichen Schutz sich stützend, sich immer übermüthiger zeigten und das Vorrecht vor den Christen besaßen, keiner geistlichen Gerichtsbarkeit unterworfen zu seyn.
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