Fehler meines Lebens

1433 Words
Kokos Sicht Nach dieser Nacht mied ich Gad so gut es ging. Der Hass und die versteckte Bedrohung, die ich in seiner Aura spürte, reichten aus, um meinen vermeintlichen Mut in seine Einzelteile zu zerlegen. Meine Hoffnung zerbrach erneut. Aber ich konnte verstehen, warum er mich nicht wollte. Wie könnte ein Mann wie er ein Mädchen wie mich wollen? Schließlich war ich hässlich, schwach und verflucht – und von meiner Familie gehasst. Und ich war diejenige, die angeblich den Tod meines Vaters verschuldet hatte. Gad war der heißeste und begehrteste Junggeselle im gesamten Rotmond-Rudel. Jede Wölfin, ob aus unserem oder den benachbarten Rudeln, begehrte ihn. Selbst die weiblichen Alphas kämpften um seine Aufmerksamkeit. So begehrt war er. Sogar meine Schwester, das goldene Mädchen des Rudels, sehnte sich danach, bei ihm zu sein. Es war undenkbar, dass er sich für eine wie mich entscheiden würde – das Gespött des Rudels und das verfluchte Mädchen. Ich verrichtete meine Aufgaben still und leise, sprach mit niemandem, und niemand wollte wirklich mit mir sprechen – außer um mir vielleicht einen Befehl zu erteilen. Selbst die Omega-Weibchen im Rudel mieden mich. Ich war eine einsame Wölfin, noch einsamer als eine Einzelgängerin. Man mied mich wie die Pest und nannte mich das Krebsgeschwür des Rudels. Ich akzeptierte mein Schicksal und beschloss, Gad's Entscheidung zu akzeptieren. Ich schwieg darüber, meinen Gefährten jemals getroffen zu haben. Aber irgendwie spürte ich, dass der Hass meiner Schwester seit jenem Tag stärker geworden war. Konnte sie es gewusst haben? Ich mied Gad's Gemächer und jeden anderen Ort, an dem ich wusste, dass ich ihm begegnen könnte. Ich wollte nicht weiter in meinem Selbstmitleid versinken. Der Hass in seinen Augen an jenem Tag war tief in meinem Gedächtnis verankert, und ich wollte ihm nie wieder begegnen. Aber ich fand Trost in dem Gedanken, dass er mich nicht abgelehnt hatte. Vielleicht würde er mich eines Tages akzeptieren. Bis dahin musste ich ihn einfach meiden. Doch das Schicksal erwies sich erneut als grausam. Warum ließ mich die Göttin nicht einfach in Frieden? Warum fand sie keinen Weg, mir den Tod zu bringen? Ich war sicher, dass die Hölle ein besserer Ort für mich wäre, verglichen mit dem, was ich jeden Tag ertragen musste. Die Mondgöttin würde mir keinen Platz an ihrer Seite oder in ihrem himmlischen Reich geben. Sie hasste mich zu sehr, um sich darum zu kümmern. In meinen Gedanken versunken, trug ich einen Korb mit nasser Wäsche, die ich im Innenhof zum Trocknen aufhängen sollte. Ich ging zügig, um diese Aufgabe schnell zu erledigen, damit ich zur nächsten übergehen konnte. Je schneller ich die mir zugewiesene Arbeit beendete, desto schneller konnte ich vor der Nacht etwas Schlaf finden, bevor ich wieder aus meinem Bett geworfen und in den kalten Flur geschickt würde. Die Zimmermädchen, die meine Mitbewohnerinnen waren, mochten mich nicht in ihrem Zimmer haben – wegen meines Fluchs, sagten sie. Sie fanden immer Ausreden, um mich hinauszuwerfen. Es machte mir nichts aus, auch wenn ich die Kälte und den Regen ertragen musste. Als ich den Innenhof erreichte und mich der ersten freien Leine näherte, sah ich etwas, das meinen Körper vor Schock und... Bitterkeit erzittern ließ. Der Korb fiel mir aus den Händen, und mein Mund stand offen. Der Gummikorb riss durch den Aufprall, und die Kleidung, die ich den ganzen Morgen gewaschen hatte, fiel auf den Rasen. Aber es war nicht die Kleidung, die mich in diesem Moment interessierte. Es war das, was ich gesehen hatte. Jetzt wurde mir klar, warum meine Schwester in letzter Zeit so besonders hart zu mir gewesen war. Das war also der Grund. Vor mir spielte sich eine Szene ab, von der ich gehofft hatte, sie nie sehen zu müssen, auch wenn ich wusste, dass sie unvermeidlich war. Gad und Hanola, mein Gefährte und meine Zwillingsschwester, standen an einem Baum. Hanola lehnte mit dem Rücken gegen den Stamm, während Gad vor ihr stand. Sie waren in einer innigen, erotischen Umarmung gefangen, ihre Zungen tief ineinander vergraben. Gad's linke Hand umfasste fest ihre Brust, und meine Schwester stöhnte leise vor Lust. Das war der Moment, in dem mir der Korb aus den Händen glitt. Das Geräusch ließ die beiden innehalten. Hanola war die Erste, die mich bemerkte. Sie funkelte mich genervt an und verdrehte die Augen. Irgendwo tief in meinem Herzen hatte ich gewusst, dass meine Schwester ihn mir wegnehmen würde, aber ich hatte es nicht wahrhaben wollen. Sie hatte schon immer ein Auge auf Gad geworfen und prahlte gerne damit, die zukünftige Luna zu sein! Wie konnte ich das vergessen? Ich suchte nach Tränen – glaub mir, ich suchte nach Tränen – aber ich fand keine. Das Einzige, was blieb, war dieser schmerzhafte Knoten in meiner Brust, dieser ständige Begleiter. Gad war wütend, sehr wütend, dass ich seine leidenschaftliche Begegnung mit meiner Schwester gestört hatte. Er löste sich von Hanola und kam schnellen Schrittes auf mich zu. Dieser unverhohlene Hass in seinen Augen war unverkennbar. Ich hätte weglaufen sollen, hätte mich umdrehen und weglaufen sollen, bis ich außer Sicht war, aber ich konnte nicht. Meine Beine waren wie gelähmt, ich stand da, unfähig, mich zu bewegen. Beide Arme fühlten sich taub an. Deshalb konnte ich mein Gesicht nicht vor der Ohrfeige schützen, die meine rechte Wange traf und mein Gesicht zur Seite schleuderte. Ich schwöre, ich hätte fast einen Zahn verloren! Nach der Ohrfeige sah ich weiße Blitze, gefolgt von einem tiefen Rot. Es dauerte mehr als sechzig Sekunden, bis mein Blick wieder klar wurde. Seine Handfläche brannte wie Feuer auf meiner Wange. Der Schmerz war unerträglich, sowohl im Gesicht als auch im Herzen. „Verdammte Schlampe,“ knurrte Gad über mir. Ich hörte Hanolas Schritte, wie sie auf mich zukam. Ich wollte meine Hand heben, um den Schmerz auf meiner Wange zu lindern, aber meine Arme gehorchten mir nicht. Sie waren wahrscheinlich vor Angst oder Schmerz erstarrt, ich weiß es nicht. Ich stand aufrecht da und sah Hanola als Erste an, weil ich zu feige war, Gad anzusehen. Hanola, die größer war als ich, fühlte sich von meinem Blick herausgefordert. Eine weitere schallende Ohrfeige traf meine linke Wange und schleuderte mein Gesicht zur anderen Seite. Wieder einmal fraß sich die Demütigung tief in mein ohnehin schon zerschmettertes Herz. „Wer glaubst du eigentlich, dass du bist, um mich so anzusehen?!“ schrie sie mit voller Wucht. Endlich brachen meine Tränen hervor und flossen unaufhaltsam. Ich konnte es nicht mehr ertragen. „Hanola... was habe ich dir jemals getan, dass du mich so hasst?“ brachte ich hervor. „Wie wagst du es, meinen Namen auszusprechen, du verfluchtes Ding! Ich kann nicht glauben, dass wir denselben Mutterleib geteilt haben! Du hast die Frechheit zu fragen, was du getan hast, wo du doch der Grund bist, dass ich keinen Vater mehr habe! Mörderin!!“ schrie sie und spie mir ins Gesicht. Bevor ich darauf antworten konnte, hörte ich, wie Gad versuchte, sie zu beruhigen. „Schatz, sie zählt nicht. Sie ist nur ein dummes Nichts...“ „Nein, ich muss sie an ihren Platz verweisen. Ich muss ihr zeigen, wo sie hingehört!“ entgegnete sie und wandte sich wieder mir zu. Es gibt keine Worte, die den Schmerz beschreiben könnten, den ich empfand. Mit ansehen zu müssen, wie mein eigenes Blut, die Person, mit der ich neun Monate einen Mutterleib geteilt hatte, mich ohne Grund demütigte. „Vielleicht waren wir Schwestern, aber das hat uns nie gleichgestellt und wird es auch nie. Hast du dich jemals im Spiegel angesehen? Sehen wir gleich aus? Wie wagst du es, mir zu widersprechen?“ begann Hanola mit ihren abfälligen Bemerkungen. „Erinnere dich daran, wer du bist. Du bist ein hässliches Entlein, ein unerwünschter Krebs! Ein Fluch mit einem verfluchten Wolf. Du solltest besser deinen Platz kennen, bevor du dieses Loch öffnest, das du Mund nennst.“ „Also, wenn ich vor dir stehe, schaust du auf deine Füße, wenn du mit mir sprichst, verstehst du?“ Ich blieb still und starrte sie an. Hat sie mir wirklich gesagt, dass ich mich vor ihr verneigen soll? Wer war sie, dass sie so mit mir sprach? Ich bin Gad's Gefährtin! Ich sollte die Luna werden, nicht sie! „Warum sollte ich mich vor dir verneigen? Wer bist du, dass du das von mir verlangst?“ schnappte ich zurück. Dann erhob ich meine Stimme: „Ich bin Gad's Gefährtin! Du hast nicht das Recht, so mit mir zu sprechen!“ Das war der Tropfen, der das Fass für Gad zum Überlaufen brachte. Er wandte sich plötzlich mir zu, und seine Aura war bedrohlich. Ich wusste, dass ich den größten Fehler meines Lebens begangen hatte.
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