Serena erwachte vom scharfen Klopfen an ihrer Tür. Ihr ganzer Körper sträubte sich,
als sie sich aufsetzte; ihre Muskeln schmerzten von den anstrengenden Aufgaben des Vortages. Die Tür
knarzte auf und gab Lenas strenges Gesicht frei.
„Steh auf“, sagte Lena energisch. „Du hast Arbeit zu erledigen.“
Serena seufzte und schob sich von der schmalen Pritsche. Die dünne Decke fiel herunter und
sie zitterte in der kalten Morgenluft. Schnell schlüpfte sie in die schlichten Kleider, die Lena ihr gegeben hatte,
der raue Stoff scheuerte auf ihrer Haut.
Als sie Lena in den schwach beleuchteten Flur folgte, wurde Serena das Unbehagen nicht los,
das in ihrer Brust nagte. Das Knurren, das sie in der vergangenen Nacht gehört hatte, hallte in ihrem Kopf wider,
und Damons wütende Warnung ging ihr immer wieder durch den Kopf.
Der Morgen verging wie im Flug – Wasser holen, Böden schrubben und
die geflüsterten Kommentare des Personals ertragen. Die anderen Arbeiter mieden sie, aber
ihre verstohlenen Blicke sprachen Bände.
„Sie hat seine Aufmerksamkeit“, murmelte einer, als Serena vorbeiging.
„Das wird nicht lange anhalten“, erwiderte ein anderer. Serena biss die Zähne zusammen und weigerte sich, sich von ihren Worten verletzen zu lassen. Damons
Kälte hatte sie bereits ausgelaugt; sie brauchte nicht noch ihre Verachtung, die ihr Elend noch verschlimmerte.
--- Gegen Mittag war die Spannung in der Festung greifbar. Serena kniete in der
Küche und schrubbte den Boden, als sich die Luft veränderte. Die schwere Präsenz, die Damons Ankunft stets begleitete, erfüllte den Raum, und sie blickte auf und sah ihn
im Türrahmen stehen, seinen durchdringenden Blick auf sie gerichtet.
„Komm mit“, befahl er, sein Ton ließ keinen Widerspruch zu. Serena wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und stand auf. Schweigend folgte sie ihm durch die
Festung. Sie fixierte seinen breiten Rücken mit den Augen, ihr Herz pochte bei jedem Schritt.
Er führte sie nach draußen zum Trainingsplatz, wo Rudelkrieger trainierten.
Das Klirren der Schwerter und das Stöhnen der Anstrengung erfüllten die Luft. Serena zögerte, unsicher, warum
Damon sie hierhergebracht hatte.
„Was ist das?“, fragte sie und durchbrach die Stille.
„Du musst die Welt verstehen, in der du dich jetzt befindest“, sagte er, ohne sie anzusehen.
„Das ist kein Palast. Hier zählt nur die Stärke.“
Sie zuckte bei seinem Ton zusammen, sagte aber nichts und beobachtete, wie zwei Krieger einander umkreisten,
ihre Bewegungen präzise und tödlich.
Während das Training weiterging, löste sich eine Gestalt von der Gruppe und näherte sich
ihnen. Serena erkannte ihn sofort – Kain, einer von Damons treuesten Gefolgsleuten. Seine Größe und sein vernarbtes Gesicht wirkten einschüchternd, doch es war die Feindseligkeit in
seinen Augen, die Serena ein flaues Gefühl im Magen bereitete.
„Alpha“, sagte Kain und neigte den Kopf zu Damon. Sein Blick huschte zu Serena, und
seine Lippe verzog sich verächtlich. „Was macht sie hier?“
„Sie beobachtet“, erwiderte Damon kühl.
Kains Augen verengten sich. „Sie gehört nicht hierher.“
Bevor Damon antworten konnte, wandte sich Kains Blick ganz Serena zu. Seine Stimme
verriet ein höhnisches Lachen. „Eine verwöhnte Alpha-Tochter, die Dienstmädchen spielt. Wie tief die Mächtigen
gefallen sind.“
Serenas Kiefer verkrampfte sich, doch sie weigerte sich, den Blick abzuwenden. „Ich brauche dein Mitleid nicht.“
Kains Lachen war kalt und grausam. „Mitleid? Du bist es nicht wert.“
„Genug“, knurrte Damon und trat zwischen sie. Seine Dominanz strahlte in Wellen von ihm aus und
ließ das Gemurmel der anderen Krieger verstummen. „Zurück zum Training.“
Cain zögerte, sein Blick huschte zwischen Damon und Serena hin und her. Die Spannung war greifbar,
doch schließlich drehte sich Cain um und ging mit großen Schritten davon.
Serena atmete aus, ohne zu merken, dass sie die Luft angehalten hatte. Sie blickte Damon an,
überrascht, seine Hände zu Fäusten geballt, die Knöchel weiß.
„Warum hast du mich hierhergebracht?“, fragte sie leiser.
Damon wandte sich ihr zu, sein Gesichtsausdruck undurchschaubar. „Weil du es lernen musst. Das hier ist nicht das Rudel deines Vaters, Serena. Niemand wird dich hier beschützen.“
Seine Worte trafen sie, doch sie weigerte sich, ihm ihre Verletzlichkeit zu zeigen. „Ich brauche keinen Schutz“, sagte sie trotzig.
Damon lächelte humorlos. „Wir werden sehen.“
--- Die Sonne ging gerade unter, als der Angriff geschah. Serena war in ihr Zimmer zurückgekehrt, dankbar für den Moment der Ruhe. Sie saß auf der Pritsche und versuchte, den dumpfen Schmerz in ihren Muskeln zu ignorieren, als die Tür plötzlich aufgerissen wurde. Kain stand da, sein Gesicht vor Wut verzerrt. „Was willst du?“, fragte Serena und stand auf.
„Du gehörst nicht hierher“, spuckte er ihr entgegen und trat näher. „Du bist eine Schwäche, die sich dieses Rudel nicht leisten kann.“ Bevor sie reagieren konnte, stürzte sich Kain auf sie. Sie taumelte zurück, Angst ergriff sie, als seine Hand sich um ihren Arm schloss. „Lass mich los!“, schrie sie und wehrte sich gegen seinen Griff. Doch Kain war zu stark. Er drückte sie gegen die Wand, sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt.
„Niemand will dich hier haben“, knurrte er. „Nicht Damon, nicht das Rudel. Du bist nichts als Ärger.“ Die Tür wurde erneut aufgerissen, und diesmal war es Damon. Seine Augen blitzten vor Wut, sein Wolf lag in ihr. „Geh weg von ihr“, befahl Damon mit tiefer, bedrohlicher Stimme.
Cain drehte sich um, sein Gesichtsausdruck trotzig. „Ich tue, was du nicht tun wirst“, sagte er. „Ich werde sie beseitigen, bevor sie –“
Er war noch nicht fertig. Damon bewegte sich schneller, als Serena es für möglich gehalten hätte, und schleuderte Kain
mit solcher Wucht zu Boden, dass die Wände erzitterten. Die beiden Männer rangen miteinander, doch Damon war stärker, sein Wolf gab ihm den entscheidenden Vorteil. Sein
Knurren erfüllte den Raum, urtümlich und furchteinflößend.
Serena presste sich an die Wand, ihr Herz raste. Sie hatte Damon noch nie so erlebt
wie – völlig außer sich, seine Selbstbeherrschung gebrochen.
„Mein“, knurrte Damons Wolf, seine glühenden Augen auf Kain gerichtet. „Fass sie noch einmal an,
und ich bringe dich um.“
Kain erstarrte, sein Gesicht war kreidebleich. „D-Du meinst doch nicht etwa …“
„Raus“, knurrte Damon und ließ ihn los.
Kain rappelte sich auf und floh, Serena allein mit Damon zurücklassend.
Sie starrte ihn an, ihre Brust hob und senkte sich heftig. „Was war das?“
Damon antwortete nicht. Er wandte sich ihr zu, seine Augen glühten noch immer schwach. „Bist du verletzt?“
Sie schüttelte den Kopf, ihre Stimme versagte.
Sein Blick wurde für einen Augenblick weicher, dann richtete er sich wieder auf, seine kalte Maske
nahm wieder ihren Platz ein. „Bleib in deinem Zimmer“, befahl er.
Als er sich zum Gehen wandte, fand sie ihre Stimme wieder. „Damon.“
Er hielt inne, ihr den Rücken zugewandt.
„Was meintest du, als du sagtest … ich gehöre dir?“
Einen Moment lang dachte sie, er würde nicht antworten. Dann drehte er sich um, seine Augen trafen
ihre.
„Vergiss, was ich gesagt habe“, sagte er barsch, bevor er hinausging und die Tür hinter sich zuschlug.
Serena sank zu Boden, ihr Herz raste. Das durfte nicht das sein, was sie befürchtete.
Sie hatte zur Mondgöttin um einen Gefährten gebetet, aber er konnte es doch nicht sein, oder?
Denn wenn sie seine Gefährtin wäre, dann wäre die Bindung nichts als ein Fluch.