Kapitel 4

1944 Words
Die kalte Nachtluft lag schwer über der Festung, und Serena lief in ihrem kleinen Zimmer auf und ab, ihre Gedanken wirr. Damons Wut, sein geheimnisvolles Knurren und die seltsame Anziehungskraft, die sie zu ihm verspürte – es war alles zu viel. Sie ballte die Fäuste und starrte auf die flackernde Kerze auf ihrem Nachttisch. Warum empfinde ich so für ihn? Warum ist er mir so wichtig? Ihre Fragen blieben unbeantwortet, doch sie konnte die wachsende Neugier in sich nicht leugnen. Damon war ein Monster, grausam und unnachgiebig, aber seine Rüstung hatte Risse. Kurze Momente der Verletzlichkeit. Und dann war da noch sein Hass auf ihren Vater. Das Schloss an ihrer Tür klickte und riss sie aus ihren Gedanken. Damon trat ein, ohne anzuklopfen, seine imposante Erscheinung erfüllte den Raum. Er wirkte angespannt, sein Kiefer angespannt, als kämpfte er mit einem inneren Sturm. „Steh auf“, befahl er. „Was nun?“ Sie fuhr ihn an, unfähig, ihm ihre Unruhe zu zeigen. „Du musst etwas verstehen“, sagte er und ignorierte ihren Sarkasmus. „Du denkst, ich bin grausam, dass ich dich hierhergebracht habe, um dich zu quälen. Aber es geht hier nicht um dich, Serena. Es geht darum, was deine Familie meiner angetan hat.“ Ihr Magen krampfte sich zusammen. „Wovon redest du?“ Damons Augen verdunkelten sich, die goldenen Flecken seines Wolfes flackerten darin. „Komm mit mir.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und verließ den Raum. Serena zögerte, bevor sie ihm folgte, ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Die Festung war unheimlich still, als Damon sie eine Wendeltreppe hinunter in ein schwach beleuchtetes Arbeitszimmer führte. Der Raum unterschied sich vom Rest der Festung. Bücher säumten die Wände, und ein großer Schreibtisch stand neben dem Kamin, seine Oberfläche bedeckt mit Papieren und Landkarten. Damon stand am Feuer, seine breiten Schultern angespannt, während er in die Flammen starrte. „Du willst Antworten?“, sagte er, ohne sie anzusehen. „Dann hör zu.“ Serena verschränkte die Arme und hielt Abstand. „Ich höre zu.“ Damon holte tief Luft, seine Stimme war leise und angestrengt. „Ich war zwölf, als Victor Grey und Magnus unser Rudel überfielen. Mein Vater war der Alpha, stark und gerecht. Meine Mutter … sie war gütig, von allen geliebt. Ich hatte eine jüngere Schwester, Ella. Sie war erst sechs.“ Serenas Herz sank bei der Erwähnung seiner Familie. Der Schmerz in seiner Stimme war roh und durchdrang ihre Abwehr. „Was ist passiert?“, fragte sie leise. Damon drehte sich zu ihr um, seine Augen blitzten. „Victor und Magnus kamen unter dem Deckmantel des Friedens. Sie behaupteten, unsere Rudel vereinen und ein Bündnis schmieden zu wollen. Mein Vater glaubte ihnen. Er lud sie in unser Haus ein und teilte unseren Tisch mit ihnen.“ Er hielt inne, seine Hände ballten sich zu Fäusten. „In jener Nacht griffen sie an. Victor tötete meinen Vater, während Magnus unsere Krieger niedermetzelte. Sie zündeten unser Haus an und schlossen meine Mutter und meine Schwester ein. Ich versuchte, sie zu retten …“ Seine Stimme versagte, und er wandte den Blick ab, die Kiefer angespannt. „Aber ich war zu spät.“ Serena stockte der Atem. Sie hatte Geschichten von der Skrupellosigkeit ihres Vaters gehört, aber nie so etwas. Sie konnte sich das Grauen, das Damon erlitten hatte, nicht vorstellen. „Ich glaube dir nicht“, flüsterte sie, doch ihre Stimme klang kraftlos. Damons Blick traf sie, sein Gesichtsausdruck eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. „Du willst es nicht glauben, Serena. Aber tief in deinem Inneren kennst du die Wahrheit. Dein Vater und Magnus sind Monster. Sie vernichten jeden, der ihnen im Weg steht.“ Sie schüttelte den Kopf, ihre Brust schnürte sich zusammen. „Mein Vater hat mich beschützt. Er hat mich großgezogen.“ „Er hat dich benutzt“, sagte Damon mit kalter Stimme. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie weigerte sich, sie fließen zu lassen. oder meine Familie. „Du weißt nichts über mich.“ „Ich weiß genug.“ Damon erwiderte und trat näher. „Dein Vater und Magnus haben meine Welt zerstört. Und seitdem habe ich jeden Moment damit verbracht, meine Rache zu planen. Deshalb bist du hier, Serena. Du bist mein Druckmittel. Eine Erinnerung für Victor an den Schmerz, den er mir zugefügt hat.“ Ihre Beine fühlten sich schwach an, und sie stützte sich am Schreibtisch ab. „Du benutzt mich, um ihn zu verletzen?“ Damons Wolf blitzte in seinen Augen auf, und seine Stimme sank zu einem gefährlichen Knurren. „Ja. Aber es ist jetzt mehr als das. Mein Wolf –“ Er hielt inne, die Kiefermuskeln angespannt, als er sich abwandte. „Was ist mit deinem Wolf?“, hakte sie nach und spürte sein Zögern. Er antwortete nicht, seine breiten Schultern starrten ins Feuer. „Es spielt keine Rolle“, sagte er schließlich. „Wichtig ist, dass du verstehst, warum ich deine Familie hasse.“ Serenas Gedanken wirbelten vor Fragen, Zweifeln und einem Anflug von Schuldgefühl. Konnte Damon die Wahrheit sagen? Hatte ihr Vater wirklich etwas so Schreckliches getan? Sie wollte es leugnen, ihre Familie verteidigen, doch der Schmerz in Damons Stimme war unüberhörbar. „Was soll ich nur tun?“, fragte sie leise. Damon wandte sich ihr wieder zu, sein Gesichtsausdruck war undurchschaubar. „Das musst du selbst entscheiden. Aber glaub ja nicht, dass ich dich zu Victor zurücklaufen lasse. Du gehörst jetzt mir, Serena. Ob es dir passt oder nicht.“ Seine Worte jagten ihr einen Schauer über den Rücken, und sie wandte den Blick ab, unfähig, seinem intensiven Blick zu begegnen. „Du bist ein Heuchler“, sagte sie bitter. „Du hasst meinen Vater für seine Grausamkeit, aber du bist genau wie er.“ Damons Augen verengten sich, und sein Wolf grollte in seiner Brust. „Ich bin ihm überhaupt nicht ähnlich.“ Bevor sie antworten konnte, unterbrach ein Klopfen an der Tür sie. Damon knurrte leise. „Was gibt’s?“ Ein Krieger trat ein, sein Gesicht blass. „Es gab einen Vorfall im Ostflügel, Alpha. Eine Schlägerei.“ Damon seufzte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Kümmere dich darum“, schnappte er. Der Krieger zögerte. „Es geht um sie“, sagte er und nickte in Richtung Serena. Damons Wolf stürmte vor, seine goldenen Augen leuchteten. „Was meinst du?“ „Eines der Rudelmitglieder … sie hält Serena für eine Bedrohung. Sie hat versucht, sie vorhin im Flur anzugreifen“, erklärte der Krieger. Damons Knurren erfüllte den Raum, und Serena wich mit rasendem Herzen zurück. Seine Beschützerinstinkte waren erschreckend, fast besitzergreifend. „Wer war es?“, fragte Damon. Der Krieger zögerte. „Liana.“ Damons Gesichtsausdruck verfinsterte sich, und er stürmte wortlos aus dem Raum. Serena folgte ihm, getrieben von Neugier und Angst. Als sie den Ostflügel erreichten, herrschte Chaos. Liana, eine große Frau mit markanten Gesichtszügen, wurde von zwei Kriegern zu Boden gedrückt. Ihre Augen waren wild, und sie knurrte, als Damon sich näherte. „Du wagst es, jemanden anzugreifen, der unter meinem Schutz steht?“, knurrte Damon mit donnernder Stimme. „Sie gehört nicht hierher!“, spuckte Liana. „Sie ist eine von ihnen!“ Damons Wolf erwachte, und mit einer einzigen schnellen Bewegung drückte er Liana zu Boden. Seine glühenden Augen trafen ihre, voller Wut. „Wenn du sie jemals wieder berührst, werde ich dich vernichten.“ Selena war zu müde und zu verängstigt, um weiter zuzusehen. Ihre Neugier war befriedigt, es war klar, dass sie hier von allen gehasst wurde. Sie zog sich in ihr Zimmer zurück und blickte zur Tür. Später in dieser Nacht, unfähig zu schlafen, ging Serena wieder ins Arbeitszimmer. Das Feuer brannte nur noch schwach und warf flackernde Schatten durch den Raum. Sie näherte sich dem Schreibtisch, ihr Blick überflog die verstreuten Papiere. Inmitten des Durcheinanders fiel ihr ein ledergebundenes Tagebuch ins Auge. Es sah alt aus, die Ränder abgenutzt und ausgefranst. Neugierig öffnete sie es, ihre Finger zitterten, als sie die Seiten durchblätterte. Serenas Hände zitterten, als sie eine weitere brüchige Seite des Tagebuchs umblätterte, der schwache Duft von altem Pergament lag in der Luft. Die Handschrift war elegant, aber hastig, als ob der Schreiber in einem verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit gewesen wäre. Sie fragte sich, wem das Buch gehörte. „Die Nacht, in der wir die Blackwoods trafen, war der Anfang von allem – und das Ende von so viel mehr.“ Serenas Stirn legte sich in Falten, ihr Blick huschte über die Seite. War das ihre Mutter? „Damons Vater, Alaric, war ganz anders, als ich ihn erwartet hatte. Er war kein skrupelloser Kriegsherr oder kalter Tyrann. Er war ein Mann, der, genau wie ich, unter der Last des Überlebens seines Rudels litt. Wir brauchten einander, obwohl keiner von uns es zugeben wollte. Magnus und Victor hatten bereits mit ihrer Eroberung begonnen und drohten, alles zu zerstören, was uns lieb und teuer war. Alaric sah sie, wie sie wirklich waren – Monster, die sich hinter Macht versteckten. Ich dachte, ich könnte ihm vertrauen.“ Serena beugte sich näher, ihr Herz hämmerte, als die Einträge immer unregelmäßiger wurden. „Wir schlossen einen Pakt, besiegelt mit Blut und Notwendigkeit. Alaric würde uns die Stärke seiner Krieger leihen, und im Gegenzug versprach ich, etwas von großer Bedeutung für ihn zu beschützen. Er hat mir nie gesagt, was es war – nicht genau –, aber ich wusste, es war mit dem Vermächtnis seiner Familie verbunden. Etwas Uraltes. Etwas Mächtiges.“ Serena blätterte zur nächsten Seite, die Worte wurden düsterer, schwerer. „Ich hätte den Verrat vorhersehen müssen. Alaric vertraute mir, aber Victor sah das Bündnis als Bedrohung. Er überzeugte Magnus, dass die Blackwoods sich gegen uns wenden würden. Als ich begriff, was geschah, war es zu spät. Magnus führte einen Überfall auf die Blackwood-Festung unter dem Vorwand eines Angriffs ihrer Feinde. Er metzelte sie alle nieder. Alaric. Seine Gefährtin. Sein Rudel.“ Ihr Atem stockte, als die Worte vor ihren Augen verschwammen. „Ich habe versucht, es zu verhindern – ich schwöre es –, aber Magnus hörte nicht zu. Er behauptete, er würde uns beschützen. Mir blieb nur die Erkenntnis, dass ich die Blackwoods ins Verderben gestürzt hatte. Alarics letzte Worte verfolgen mich noch immer: ‚Du hast uns alle verdammt.‘ Und dann war da noch Damon.“ Serenas Griff um das Tagebuch verstärkte sich, als sie den nächsten Eintrag las. Die Tinte war verschmiert, als hätten die Tränen ihrer Mutter das Papier befleckt. „Ich sah Damon in jener Nacht. Ein Junge, nicht älter als zehn, stand in den Trümmern seines Zuhauses. Seine Augen brannten vor Hass, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Magnus ließ ihn am Leben, um andere zu warnen, aber ich wusste, es war ein Fehler. Aus diesem Jungen würde ein Mann werden, der niemals vergessen – niemals vergeben würde. Er wird uns bis ans Ende der Welt jagen.“ Serenas Magen verkrampfte sich, ihre Brust schmerzte vor einem Gemisch aus Schuldgefühlen und Verwirrung. Sie blätterte um die Seite, doch die Worte wurden immer bruchstückhafter. „Das Objekt, das ich zu beschützen schwor – ich habe es tief vergraben, wo es niemand finden kann. Nicht einmal Victor kennt seine wahre Natur. Wenn Damon jemals die Wahrheit erfährt …“ Der Rest des Eintrags verstummte, unvollendet. Serena schloss das Tagebuch, ihr Verstand noch immer bemüht, das Gelesene zu verarbeiten. Was auch immer dieses Geheimnis war, es könnte alles verändern. „Genau wie alle anderen. Magnus und Victor sind zwei Seiten derselben Medaille, und du warst dein ganzes Leben lang blind dafür.“
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