Zurückgelassen
„Warum? Das Wort explodierte hinter meiner Stirn und riss mich zurück. Ich begegnete diesen blau-grauen Augen, die nicht verstanden, und ich sah mich in meinem Zimmer um. Doch wir waren alleine.
Dort war nur das blonde Mädchen unter mir und der Geschmack ihres süßlichen Lipgloss auf meiner Zunge. Ihr liebliches Parfüm breitete sich weiter im Raum aus und benebelt meine Gedanken, doch der eisige Schauer, der über meinen Rücken glitt, blieb und ich erschauderte.
‚Hast du das gehört, Laura?‘ Ich sah sie an, betonte ihren Namen, um ihn selbst in Erinnerung zu behalten, doch sie schüttelte nur den Kopf und stemmte sich auf die Unterarme hoch. ‚Was denn? Hier sind nur wir und deine Katze.‘
Ja, Kirika, die nicht mehr in ihrem Körbchen lag, sondern suchend durch den Raum schritt. Ein leises Miauen, doch das war nicht das Geräusch. Es war anders. Ich hatte das Gefühl, dass ich dich gehört hatte. Aber das war doch unmöglich.
Laura berührte mich sanft an meinem Oberarm und ich begegnete ihren besorgten Blick. ‚Ist alles okay, Taiyo? Geht es dir zu schnell? Mir nämlich nicht.‘
Ich verzog kurz das Gesicht und Zweifel schlichen sich in meine Gedanken. Sollte ich wirklich mit einem Mädchen schlafen, das ich erst seit drei Wochen kenne? Ich schleckte mir über die Lippen und schmeckte wieder dieses künstliche Pfirsicharoma. Ein Ziehen glitt durch meinen Körper, als ich an den Kuss dachte, doch es bekam einen schweren Nachgeschmack.
‚Du solltest jetzt besser gehen, Laura.‘ Ich erhob mich und trat auf Kirika zu, die mich mit verzweifelten Augen ansah und erneut fragend miaute. Sofort bückte ich mich zu ihr herunter, um sie auf den Arm zu nehmen und zu streicheln.
‚Was? Wieso? Wir hatten doch gerade so viel Spaß. Komm, küss mich, dann überlegst du es dir bestimmt wieder anders.‘ Sie streckte die Arme nach mir aus und ihr süßlicher Duft bereitete mir Übelkeit. Dort saß ein Mädchen, das mit mir schlafen wollte. Sie war attraktiv und hatte Fett an den richtigen Stellen, wie Hüfte und Brüste. Aber anstatt Erregung befiel mich jetzt Ekel bei dem Gedanken sie noch einmal zu küssen.
‚Nein, Laura, geh jetzt bitte. Irgendwas ist passiert.‘ Dort war ein kurzer Stich in meiner Brust, der nachhallte und sich wie Wellen auf dem Wasser weiter ausbreitete. Eine schaurige Gewissheit hauchte mir in den Nacken und stellte all meine Haare auf. s*x war definitiv nicht mehr möglich.
‚Was soll schon passiert sein? Hast du dich erinnert, dass du schwul bist, oder was?‘, zischte sie und stand dann mit einem wütenden Funkeln in den Augen auf. Ihr gewelltes Haar wippte unter ihren Bewegungen und die Stupsnase krauste sich.
‚Nein, ich bin nicht schwul. Aber – ich weiß es auch nicht, Laura. Aber irgendwas stimmt nicht mehr.‘ Ich drückte Kirika näher an meine Brust, um diesem nagenden Gefühl zu entkommen, dass sich weiter durch meine Gedanken grub.
‚Das ist echt eine lahme Ausrede. Kannst es auch einfach zugeben, dass du dich nicht outen willst. Bei mir ist dein Geheimnis sicher, aber ja, anlügen brauchst mich echt nicht.‘ Sie schnalzte schnippisch mit der Zunge. Sie kam auf mich zu und strich mit ihren spitzen Fingern über meine Wange.
‚Ich würde dir auch, solange du es brauchst, ein Alibi geben. Aber dafür musst du ehrlich zu mir sein, Taiyo.‘ Ich zog meine Lippe kraus, als sich die Anziehung weiter in Ekel verwandelte und der Schock über diese Unterstellung sich tiefer in meine Knochen bohrte.
‚Ich bin nicht schwul, Laura. Es ist – ich weiß es auch nicht, okay? Irgendwas ist passiert. Vielleicht mit Tsuki.‘ Als ich deinen Namen aussprach, verwandelte sich die Besorgnis langsam in Angst und legte sich schwer auf meine Brust.
‚Wer ist Tsuki?‘ Sie legte den Kopf schief. Ich hatte keine Lust, mich weiter mit ihren Fragen zu befassen. Ihre Anwesenheit begann sich zu einer Last zu entwickeln und ich knirschte mit den Zähnen. ‚Mein Zwillingsbruder.‘
‚Dann schauen wir halt mal kurz nach ihm und danach –‘ Sie kam wieder näher und strich über den Teil meiner Brust, der nicht von Kirika belegt war. ‚Machen wir da weiter, wo du uns unterbrochen hast.‘
Sie nippte an meinen Lippen und die Erregung, die über meinen Rücken glitt, war nicht lustvoll, sondern angewidert.
‚Laura, du bist wirklich wunderschön, aber ich will das gerade nicht. Du solltest nach Hause gehen, okay?‘ Ich schob sie mit Nachdruck weg und Frust blitzte in ihren Augen auf, als sich ihre Augenbrauen zusammenzogen.
‚Du weißt nicht, was du verpasst.‘ Demonstrativ warf sie ihre Haare über die Schulter und verließ dann mit stolz erhobenen Haupt mein Zimmer. Die süße Duftwolke hing noch mehrer Atemzüge im Raum, doch dieses nagende Gefühl in meiner Brust blieb. Was war geschehen? Ging es dir gut?
Ich hätte mich anders von dir verabschieden sollen. Das war nicht genug und seit ich hier war, habe ich dich auch nicht mehr kontaktiert. Dir auf keine Nachricht geantwortete. Erneut war ein verpasster Anruf von dir auf meinem Display.
Was sollte ich dir sagen? Wir sollte ich auf dich reagieren? Konnte ich mit deiner Trauer umgehen? Alleine bei der Erinnerung an diesem Schmerz in deinem Gesicht, als ich mich von dir verabschiedet hatte. Es war nicht richtig. Auch dort war er viel zu kurz, als würde ich nur kurz in den Urlaub fahren. Doch wir wussten beide, dass es nicht so war.
Der Kloß in meiner Kehle wurde größer und ich konnte ihn nicht herunterschlucken. Egal, wie sehr ich es auch versuchte. Kirika schnurrte in meinen Armen und ihr Schwanz peitschte unruhig hin und her. Genauso wie die Ohren zuckten, als suchte sie etwas. Aber was?
Ich musste hören, dass es dir gut ging, darum wählte ich deine Nummer an meinem Handy und lauschte dem Freizeichen. Du gingst nicht heran, dort waren nur deine Mailbox und deine Stimme, die deinen Namen sagte. Bei ihrem Klang glitt ein Schauer über meinen Rücken und ich öffnete den Messenger, um dich um einen Rückruf zu bitten.
Die Nachricht kam an, doch du warst das letzte Mal vor einigen Stunden online, aber du last sie nicht. Die Haken verfärbten sich nicht. Nicht nach fünf Minuten. Auch nicht nach zehn. Nicht einmal nach einer halben Stunde.
Der Kloß war mittlerweile zu einem Stein geworden, der schwer in meinem Magen lag und um Antworten rang. Dort war diese eisige Gewissheit, die sich erbarmungslos in meinen Nacken krallte und jedes Haar auf meinem Körper aufstellte.
Ich rief dich noch einmal an. Nur die Mailbox, doch dieses Mal hinterließ ich eine Nachricht: ‚Hey, Tsuki, ruf mich bitte an, ja? Ich will hören, dass es dir gut geht, okay?‘
Keine Reaktion. Mein Handy blieb stumm und die Haken farblos. Kirika lag mittlerweile wieder in ihrem Bett und schlief. Ich selbst wanderte durch den Raum und starrte weiter auf den Bildschirm in meiner Hand. Es änderte sich nichts und die Angst wuchs weiter an, um mein sämtliches Denken zu verschlingen, bis nur noch ein Wort in meinem Geist existierte und all mein Sein ausfüllte: Tsuki.