Zurückgelassen 3

892 Words
Wir bewohnten jetzt nur eine Wohnung und kein Haus mehr. Sie reichte mir aber vollkommen aus, denn all die Weitläufigkeit hatte mir nur meine Einsamkeit vor Augen geführt. Jetzt trat ich direkt von meinem Zimmer in den Flur und hörte das Klackern einer Tastatur aus dem Büro meines Vaters. In mir stieg der Impuls hoch, dass ich zu ihm ging, um ihm über deinen Tod zu berichten, aber dann erinnerte ich mich an seine letzte Reaktion auf dich und ich entschloss mich dagegen. Er freute sich bestimmt darüber und das verkraftete ich gerade nicht. Ich holte tief Luft und trat von meinem Zimmer hinaus, um dann das Telefon zurück in seine Station zu setzen. Erneut schniefte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, bevor ich zittrig Luft holte. Du warst weg. Verschwunden. Nicht mehr greifbar. Verloren. Ein kurzes Bimmeln signalisierte mir, dass der Hörer Kontakt zur Station gefunden hat und somit wieder Strom bekam. Sofort stoppte das Klackern aus dem Büro und die Tür, die gegenüber von meinem Zimmer lag, öffnete sich. Ich sah auf meinen Vater, der mich fragend musterte. ‚Was wollte sie? Woher hat sie überhaupt unsere Nummer? Ich dachte, dass sie aus unserem Leben verschwunden sind.‘ Jede Frage war ein Dolchstoß und trieb neue Tränen in meine Augen. Ich holte zittrig Luft, doch als ich seinen letzten Satz hörte, verschwand der Schmerz, verbrannt von Zorn. Sofort ballte ich meine Hände zu Fäusten und mein Körper zitterte unter der Anspannung. ‚Sie ist meine Mutter‘, zischte ich und am Liebsten hätte ich ihm eine reingehauen, doch etwas stoppte mich. Er war immer noch mein Vater, der mich mein ganzes Leben groß gezogen und meinen Charakter mitgeformt hatte. ‚Hast du geweint? Was hat die dumme Kuh jetzt wieder angestellt? Ich hatte schon meinen Grund, warum ich euch auseinandergehalten habe.‘ Er seufzte und strich sich durch seine dunklen Haare. ‚Warum sprichst du so über sie?‘ Jedes seiner Worte riss die Wunde weiter auf. Begriff er nicht, dass ihr ein Teil meiner Familie ward und ihr mir etwas bedeutetet, auch wenn ich euch nicht einmal ein Jahr gekannt hatte? ‚Weil es wahr ist. Sie macht aus jeder Mücke einen Elefanten und überdramatisiert alles. Egal, was sie dir gesagt hat, es kann gar nicht so schlimm sein.‘ Er wischte deinen Selbstmord mit einer lockeren Bewegung vom Tisch. Unbedeutend sollte er sein? Nicht schlimm? Er verstand gar nichts! ‚Selbstmord ist unbedeutend?‘, hauchte ich und seine Augen weiteten sich überrascht. Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht und seine Lippen bebten. ‚Was? Selbstmord? Wer?‘ ‚Tsuki.‘ Dein Name hing schwer zwischen uns und wir schwiegen einige Herzschläge, bevor ich erneut zischte. ‚Bist du jetzt zufrieden?‘ Erneut stürmte mich diese Wut, die sich bedrohlich auf meine Stimme und Gedanken legte. ‚Jetzt hast du bekommen, was du wolltest, oder? Ich bin dein einziger Sohn. Tsuki ist fort. Nie wieder kann er dir dein Versagen zeigen. Du solltest eine Party schmeißen.‘ ‚Taiyo.‘ Er streckte seine Hand nach mir aus, doch ich wich drei Schritte zurück in Richtung meines Zimmers. Ich konnte ihn nicht länger ansehen und wissen, dass er sich über diese Nachricht freute, obwohl er trauern sollte. Auch er hatte ein Kind verloren. ‚Du verstehst da etwas falsch.‘ Er wollte sich erklären. Ich ließ es nicht zu. Seine verlogenen Worte konnte er behalten. Immer wieder war dort der Zorn, als er das erste Mal auf dich traf, dieser Hass dir gegenüber. Und jetzt sollte ich ihm diese Träne, die über seine Wange lief, glauben? Vergiss es! ‚Ich verstehe alles richtig. Tsuki ist tot. Ich konnte nicht bei ihm sein, weil du mich mit hierher geschleift hast! Das wolltest du doch immer! Dass ich dein einziger Sohn bin! Endlich dein Erstgeborener, weil Tsuki für immer verschwunden ist!‘, schrie ich ihn weiter an. Er streckte seine Hand nach mir aus, doch ich wich weiter zurück, ließ ihn dabei aber nicht aus den Augen und knurrte tief. Meine Tür stoppte mich und ich tastete blind nach der Türklinke. ‚Taiyo, bitte, lass uns reden, okay?‘ Ein letztes Flehen, bevor ich die Klinke herunterdrückte und ihn all meinen Frust ein letztes Mal entgegenschleuderte: ‚Vergiss es! Du begreifst nämlich gar nichts! Tsuki ist tot! Also, fick dich!‘ Mit einem lauten Knall schloss ich die Tür wieder, als ich während meiner Schimpftirade in mein Zimmer schritt. Schnell drehte ich den Schlüssel herum, damit er mir nicht folgen konnte und keine zwei Atemzüge später, wackelte die Klinke. ‚Taiyo? Mach auf! Lass uns darüber reden, okay? Du verstehst da was total falsch.‘ Er klopfte gegen die Tür, doch ich ging zu meinem Bett, um mich hineinzulegen. Sofort sprang Kirika zu mir hoch und schmiegte sich schnurrend an mich. ‚Nein, ich verstehe alles richtig. Verschwinde. Es gibt nichts zu reden. Nie mehr.‘ Ich sprach laut genug, dass er es verstand, aber ich Kirika damit nicht verscheuchte. Noch ein letztes Flehen, doch ich schwieg. Er ging und ich blieb alleine. Mit dieser brennenden Leere und dem weichen Fell unter meinen Fingern. Tränen liefen über meine Wangen und tropften in Kirikas Fell. Immer wieder schmiegte sie sich mit ihrem Kopf an mein Gesicht, doch der Schmerz blieb. Er verließ mich nicht. Nie wieder.
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