Verzweifelte Lügen

998 Words
Der Schultag war zu Ende und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Jugendliche verabschiedeten sich voneinander um mich herum. Sie nahmen mich nicht wahr und der Blick von Laura streifte mich nur kurz, bevor sie sich wieder mit ihren Freundinnen unterhielt. Ich selbst entfernte mich von den Schulbussen und hielt zielstrebig auf mein Zuhause zu, obwohl sich etwas bei dem Gedanken dorthin zu gehen sperrte, aber wo sollte ich sonst hin? Zu dir war es zu weit, obwohl ich dich jetzt gerne besuchen würde und mit dir über alles sprechen wollte. Dein Selbstmord war doch eine Lüge, die du und unsere Mutter nur in die Welt gesetzt hatte, damit ich schnell zu euch kam, oder? Sie sollte Schauspielerin werden, denn ich hatte es ihr im ersten Moment tatsächlich abgekauft, aber desto länger ich darüber nachdachte, umso weniger Sinn ergab es. Du warst doch niemand, der sich umbrachte, vor allem nur wegen mir. Akirai und deine Herzensdame waren doch auch noch da und selbst wenn sie deine Liebe nicht erwiderte, war das doch gar kein Grund sich das Leben zu nehmen. Das war bestimmt nur ein schlechter Scherz von euch, aus Rache, weil ich mich nicht von dir verabschieden konnte. Ein sehr kindisches und vor allem makaberes Verhalten, findest du nicht auch, Tsuki? Ich sollte dich nachher anrufen, um dir zu sagen, dass ich dein Schauspiel durchschaut hatte. Mit diesem Vorsatz sperrte ich die Haustür auf und stieg die Treppen im Flur bis zu unserer Wohnung hoch. Meine Schritte hallten ihn dem schmalen Treppenhaus wieder und ich ignorierte die zwei Türen pro Stockwerk, bis ich im zweiten angekommen war. Ich sperrte die rechte Tür auf und trat ein. Die gedämpfte Stimme meines Vaters drang hitzig aus seinem Büro und ich verdrehte genervt die Augen. Ich hatte so gehofft, dass er unterwegs war und ich meine Ruhe hätte, wenn ich nach Hause kam. Die Hoffnung zersprang in tausend Scherben und schnitt schmerzhaft in meine Gedanken ein. ‚Wir müssen aufhören. Ich rufe Sie später noch einmal an, okay?‘ Irritiert hob ich eine Augenbraue und sah auf die leicht geöffnete Bürotür, doch dann zuckte ich mit den Schultern und wandte mich zu meinem Zimmer. Es war mir egal, was im Kopf meines Vaters vor sich ging, solange er mich damit in Ruhe ließ. Das tat er aber nicht. ‚Taiyo! Warte kurz.‘ Er eilte aus seinem Zimmer und stoppte mich kurz. Ich zischte und schüttelte den Kopf, um dann weiterzugehen. ‚Lass stecken. Hab keinen Bock auf dich.‘ ‚Wir sollten aber reden.‘ Er blieb hartnäckig und hielt auch dagegen, als ich meine Tür schließen wollte. Sofort schob er sich zu mir hinein und ich zischte scharf. ‚Ich wüsste nicht worüber. Verschwinde.‘ ‚Über Tsuki und deine Mutter.‘ Ein Schauer erfasste mich und wandelte sich in ein tiefes Knurren, das meine Augenbrauen nach unten zog. ‚Da gibt es erst recht nichts zu reden. Sie sind dir egal und somit ist jedes deiner Worte eine Lüge.‘ Erneut wurde mir schmerzhaft bewusst, dass ich für ihn nur ein Ersatz für dich war. In seiner Welt war ich immer Tsuki und niemals Taiyo. Du warst von diesem einen Tag, als du dich gegen ihn entschieden hattest, gestorben. Wieso brachte er dieses Thema jetzt von selbst auf den Tisch? ‚Dennoch gehören sie zu deinem Leben-.‘ Sofort unterbrach ich ihn, all diese Lügen ertrug ich nicht mehr. ‚Ja, meinem Leben und nicht deinem! Das werden sie nie. Damals, als du auf Tsuki losgegangen bist, wusstest du, wer er war, und hattest gehofft, dass du ihn so vertreiben konntest, damit deine Lügengeschichte nicht auffliegt. Also, warum sollte ich dir je wieder zuhören?‘ ‚Ich bin immer noch dein Vater.‘ Ein bedrohlicher Unterton lag in diesem einen Satz, doch ich zischte über ihn hinweg. Dieser Mensch vor mir hatte keine Macht über mich. Ich sollte meine Sachen packen und zu euch ziehen, dann hatte dieser ganze Spuk ein Ende. ‚Aber nur auf dem Papier. Ich habe keinen Vater mehr.‘ Ich funkelte ihn an und warf nun meinen Schulpack auf mein Bett, bevor ich mich gänzlich zu ihm umdrehte. Mit einem Schritt auf ihn zu drängte ich ihn näher an die Tür und aus meinem Zimmer hinaus, doch er blieb. ‚Doch, er steht vor dir. Ich hatte gehofft, dass ich vernünftig über all das sprechen kann, aber scheinbar ist es noch zu früh dafür.‘ Seine Schultern sanken herunter und er wandte sich zur Tür. In mir erwachte die Neugier, was er besprechen wollte, doch der Trotz und vor allem der Zorn über seine offene Ablehnung dir gegenüber, überschatteten sie und mein Körper blieb angespannt. Selbst das kurze Miauen von Kirika lenkte mich nicht ab. ‚Ich will mit dir nie wieder reden. Verstanden?‘ Enttäuschung flammte in seinen Augen auf und er schüttelte bemitleidend den Kopf. ‚So stur. Du machst dir damit alles kaputt, Taiyo. Aber wenn du bereit bist, über Tsuki, deine Mutter und vor allem meine Entscheidungen zu sprechen, dann weißt du ja, wo du mich findest.‘ ‚Ja, bei der Arbeit‘, schnaubte ich aus und mit einem letzten Zucken verschwand er aus der Tür. Ich blieb alleine zurück, dort war nur ein leises Miauen von Kirika, das in ein dunkles Schnurren überging und sonst Stille. Stille und die verzehrende Leere in meinem Inneren, sodass ich nach meinem Handy griff und deine Nummer wählte. Doch dort waren nur deine Mailbox und deine schüchterne Stimme, bevor das Piepen erklang und ich dir eine Nachricht aufs Band sprach: ‚Hey, Bruderherz. Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe, aber ruf mich doch zurück, okay? Mutter hat behauptet, dass du dich umgebracht hast, aber das ist Schwachsinn, oder? Totaler Blödsinn, nicht wahr? Wir können uns doch sonst nicht mehr sehen und das wirfst du nicht weg. Nicht wahr, Tsuki? Du wirfst uns nicht weg, oder? Ruf mich zurück, ja? Bitte.‘
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