Verzweifelte Lügen 3

1046 Words
‚Du hättest nicht zu mir kommen brauchen. Ich wäre doch bald zu dir gefahren. Aber es freut mich, dass du hier bist.‘ Wir lächelten uns an und deine eisblauen Augen leuchteten, doch kein Wort kam über deine Lippen. Du legtest deinen Kopf leicht schief und ich folgte deiner Bewegung. ‚Ich wusste, dass du nicht gestorben bist. Schließlich hätte ich das doch gespürt, aber du bist jetzt hier und alle werden verstehen, dass sie Unrecht hatten. Lass es uns den anderen sagen, okay?‘ Ich hob meine Hand und sofort tatst du es mir gleich. Sie berührten sich auf halben Weg, doch dort war keine Wärme, sondern eine kalte Glätte. Ein Stich fuhr mir ins Herz, doch ich lächelte gemeinsam mit dir darüber hinweg. ‚Warum schweigst du?‘ Meine Stimme zitterte, doch ich bekam auch jetzt nur ein Lächeln, das dieses Mal von Trauer durchzogen war. Wir wollten unsere Finger miteinander verschränken, doch die unsichtbare Barriere blieb. ‚Ich weiß, es war nicht okay, dass ich einfach so abgehauen bin, okay? Aber das ist doch jetzt unwichtig. Wir sind wieder zusammen und das ist alles, was zählt, oder?‘ Tränen krochen in meine Augen und legten sich schwer auf meine Stimme. Sofort blinzelte ich sie weg und lächelte dich weiter an. ‚Ich will dich berühren und wissen, dass du da bist‘, flüsterte ich und versuchte, in deine Haare zu fahren, doch erneut waren dort deine Hand und das gläserne Hindernis. Mein Flehen wurde nicht erhört und mein Herz zog sich daraufhin schmerzhaft zusammen. ‚Warum musste ich gehen? Wieso bist du hier?‘ Fragen, deren Antworten ganz tief in meinem Unterbewusstsein lauerten. Ich traute mich nicht, sie heraufzuholen, sondern sah weiter in deine sanften Augen. ‚Mutter sagt, dass du dich umgebracht hättest.‘ Ich lachte trocken auf und schüttelte den Kopf. ‚Warum hättest du das tun sollen? Du hattest doch mich und Akirai.‘ Deine Augen zitterten unter einer Pein, die sich über dein Lächeln legte und deine Hand war genauso flehend erhoben wie meine. So dicht voreinander, aber wir konnten einander nicht berühren. Meine Hand sank herab und streifte über warmes Holz. Wärme, die du haben solltest, aber du warst hinter dieser kalten Barriere gefangen. Bitte halte es. Halt nur dieses eine Mal dein Wort. Deine letzten Worte schallten in meinem Kopf wider und schnürten mir die Kehle zu. Dein Gesicht verschwamm vor mir und ich schluckte hart, doch mein Blick klärte sich nicht wieder auf. Heiß lief die erste Träne über meine Wange und ich holte zittrig Luft. ‚Du bist zu mir gekommen, obwohl ich dich alleine gelassen habe. Du bist hier bei mir. Das ist alles, was ich mir wünsche, und hoffentlich wirst du nie wieder gehen.‘ Dein Lächeln wurde breiter und du legtest erneut fragend den Kopf zur Seite. Unsere Hände begegneten sich auf der gleichen Höhe. Egal, wie ich mich bewegte, du kamst mir entgegen und wurdest genauso wie ich kurz vorher gestoppt. Warum durfte ich dich nicht berühren? Schluchzend sank ich in die Knie. Meine Hand strich über das warme Holz und du verschwandest, umso mehr desto tiefer ich sank. Ich schluchzte und rollte mich kurz zusammen. Warum konnte ich deine Stimme nicht mehr hören? Wieso schwiegst du mich an? Ich wollte dich berühren, um zu wissen, dass du hier bei mir und alles in Ordnung war. All diese Lügen, die man mir in den letzten Tagen erzählt hatten, entlarven und die Wahrheit wieder in mein Herz lassen: Du lebtest und warst hier. Oder? Panik befiel mein Herz und ich sprang auf. Sofort warst du wieder da. Überall des Holzes. Tränen liefen über deine Wangen und die Angst, die durch meinen Geist wütete, flackerte in deinen Augen. Meine Hand hob sich automatisch und ich tastete verzweifelt nach deinem Gesicht, doch die Barriere war immer noch da. Dein Lächeln trübte sich und du legtest den Kopf schief. Ich wollte nur noch einmal deine Hand halten und dich umarmen, damit ich deine Wärme auf meiner Haut spürte. Sie sollte die Kälte, die sich immer wieder wie ein Mantel um meine Schultern legte, vertreiben. ‚Bitte halte es. Halte nur dieses eine Mal dein Wort.‘ Deine Worte schallten in meinem Kopf wieder, während sich deine Lippen stumm bewegten. Jedes Einzelne war ein Stich in meine Brust und brachte mein Lächeln ins Wanken, doch ich klammerte mich an die Barriere zwischen uns und hielt deinem Blick stand. ‚Ich werde es halten. Auch wenn du es wieder warst, der zu mir gekommen ist. Schon witzig, wie sich das gedreht hat. Am Anfang bin ich dir hinterhergelaufen und jetzt verfolgst du mich. Erinnerst mich immer wieder daran, dass es dich gibt.‘ Ich lachte gepeinigt auf und tastete verzweifelt nach deinen Fingern, doch ich kam nicht durch diese durchsichtige Trennwand hindurch. ‚Wir sind Brüder.‘ Erneut bewegten sich deine Lippen tonlos und ich erinnerte mich an den Tag deines Geständnisses. Diese einfachen drei Wörter hatten mein Leben damals ordentlich durcheinandergewirbelt und dennoch bin ich froh, dass ich sie gehört habe. ‚Ja, das sind wir. Willst du nicht zu mir kommen?‘, flehte ich dich an, doch du schütteltest nur kurz den Kopf und dann verschwandest du vor mir. Ich sah in mein verheultes Gesicht. Meine Haare standen wirr ab und meine Lippen zitterten, als die Tränen zurückkehrten und neue Bahnen auf meinen Wangen zeichneten. ‚Komm zurück‘, hauchte ich mein Spiegelbild an, doch du bliebst verschwunden und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich wollte dich sehen und noch so viele Dinge mit dir besprechen. Kamst du wieder? Konnte ich dich hier wiedersehen? Wohin bist du gegangen? Erneut sank ich auf die kalten Fliesen und unterdrückte das Wimmern in meinem Körper, das mich durchschüttelte. Ich schluchzte und zog meine Beine näher an meinen Körper und holte noch einmal zittrig Luft. Doch der Schmerz verschwand nicht. Wie heiße Lava lief er durch meine Gedanken und verbrannte sie. Ich wollte dich sehen und vor allem spüren. Wissen, dass du noch hier warst. Hier bei mir. Doch jetzt hörte ich nur den Widerhall meines Wimmerns und umfasste mit meinen Händen meinen Kopf. Komm zurück zu mir! Bitte. Komm zurück zu mir. Bitte halte es. Halte nur dieses eine Mal dein Wort.
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