1. Kapitel Das Raumschiff Lenticularis Teil 3

2084 Words
1. Kapitel Das Raumschiff Lenticularis Teil 3 „Wer ist da?“, fragte Carol schroff. „Ich bin es“, antwortete Laura gut gelaunt, „ich komme heute nicht als Crewmitglied zu dir, sondern als Freundin. Kann ich hereinkommen?“ Einen Moment herrschte Schweigen. „Gut, komm herein“, murmelte Carol und schon öffnete sich die Tür und Laura trat ein. Ihr Kapitän saß auf einem Sessel und blickte gedankenverloren aus einem Bullauge hinaus. Draußen sah man unendliche Dunkelheit, unterbrochen von einigen kleinen Lichtpunkten. „Darf ich mich setzen?“, fragte Laura. Carol nickte und deutete auf einen freien Armsessel. Laura nahm Platz und schaute auch hinaus. „An was denkst du?“, fragte die Zila schließlich, die rund um die Uhr die Erlaubnis hatte ihre Freundin zu duzen. „Ach“, murmelte Carol, „es ist nichts. Alles okay, wirklich.“ Laura glaubte ihr nicht, denn Carol kam ihr verändert vor. Sonst war sie nie so still und nachdenklich, sondern schäumte vor Tatendrang und wenn sie wollte, redete sie wie ein Wasserfall. Wenn es ein Problem gab, konnte sie sich schrecklich darüber aufregen und das gerne sehr laut und sehr langatmig. Das war ihre Art. Alle wussten das und alle nahmen es hin, schließlich war sie Kapitän Carol Thunderstorm. Ihr Name passte, sie war wie ein Sommergewitter: Sie konnte in kürzester Zeit donnern, blitzen und war alles vorbei, schien auch wieder die Sonne. Im Moment kam diese Stille Laura vor wie die schwüle Lautlosigkeit, die ein kommendes Gewitter ankündigte. Diese Phase war beim Kapitän für Gewöhnlich nur sehr kurz. In dieser Stille vor dem Sturm braute sich immer rasend schnell etwas zusammen, heute aber zog es sich in die Länge und es schien, als würde das Gewitter ausbleiben. Carol wirkte bedrückt, es musste etwas geschehen sein, dass sie berührte, aber nicht etwas, das sie verärgerte oder worüber das sie sich aufregen konnte. Als wäre eine längst verheilte Wunde in ihrer Seele wieder aufgerissen. Laura hatte ihre Freundin so noch nie zuvor gesehen: verletzt und zerbrechlich. Tränen standen in Carols Augen, sie ließ es aber nicht zu, zu weinen und schluckte ihren Kummer herunter. Bleierne Stille herrschte im Zimmer, endlich nahm sich Laura ein Herz. „Carol“, sprach sie leise, „ich bin deine Freundin und kann verschwiegen sein wie ein Grab. Sag mir bitte, was los ist. Balthasar hat mir von den Kindern in der Stadt erzählt. Was war mit ihnen? An was haben sie dich erinnert? An einen Verehrer, der dich abservierte? Der ist deine Tränen nicht wert.“ Sie lächelte, als Carol aufsah. „Nein“, antwortete sie leise und wischte sich die Tränen aus den Augen, „mit so einem Blödmann hat die Erinnerung nichts zu tun, sondern mit einer anderen Person. Mit dem einzigen Mann in meinem Leben, der mich nie verletzt hat. Aber ich möchte nicht darüber reden. Es ist sehr persönlich, bitte verstehe das. Es ist nett von dir, dass du gekommen bist, aber es geht mir schon wieder besser, jetzt wo ich dein fröhliches Gesicht gesehen habe. Komm, gehen wir. Ich halte es in der Kabine nicht mehr aus. Die Decke fällt mir sonst auf den Kopf. Ich nehme mir frei und du dir auch. Jetzt brauchen wir nur noch eine Idee, womit ich mich ablenken könnte.“ Nun strahlte Laura noch schöner, „Ja, jetzt bist du wieder meine Carol, unsere Frau Kapitän! Stark, selbstbewusst, lösungsorientiert! Wieder oben auf!“ Laura gefiel das sehr und sie überlegte. „Komm mit!“, rief sie schließlich und schon verließen die beiden Frauen die Kabine. Min, auf einem Samtkissen liegend, hörte auf sich die Pfoten zu lecken und trippelte hinterdrein. Wobei sie sich einbildete, durch ihre blanke Anwesenheit im Raum ihr Frauchen getröstet zu haben. Lauras Hilfe hätte sie ihrer Meinung nach dabei nicht gebraucht. Denn Laura hin oder her, schließlich war sie, Min, die beste Freundin von Carol! „Was wollen wir denn hier?“, fragte Carol verwundert, als Laura mit ihr den Fitnessraum betrat. Min rümpfte ihre feine Nase, hier roch es unangenehm nach Schweiß und Testosteron. Das ist ja widerwärtig! Pfui Spinne! Laura lächelte als Antwort und sah sich dann suchend um. Sie erblickte mehrere männliche Crewmitglieder, die sich an den Geräten abrackerten. Nur auf den Laufbändern sah man zwei trainierende Frauen, die gleichzeitig noch Luft für ein Schwätzchen hatten. Endlich fand Laura, wen sie gesucht hatte. „Ah!“, rief sie. „Da ist er ja!“ Der Kapitän grinste unverschämt. Das Bild, das sich bot, gefiel ihr. Ihr Leibwächter Balthasar stemmte Gewichte und schnaufte dabei wie ein beladener Oldtimer, der gleich unter seiner Last zusammenbricht. Laura Meri ging zu ihm. „Und?“, fragte sie keck. „Wie läuft es denn?“ Balthasar hätte fast die Gewichte auf seine Füße fallen lassen, was diesen nicht gutgetan hätte. Antworten konnte er nicht, dafür keuchte er zu sehr, also machte er, dass er die Gewichte loswurde und dann erst einmal Luft schnappte. Laura sah ihn misstrauisch an. „Fleißig gewesen?“ Zur Antwort ächzte er und Laura schmunzelte. „Wunderbar. Dann ab unter die Dusche und wenn du willst, kannst du mir und dem Kapitän später an der Bar Gesellschaft leisten.“ Balthasar nickte ergeben, keuchte und verschwand in den Duschraum. Laura sah ihm hinterher. „Männer“, murmelte sie, „tun immer so hart und dann jammern sie den lieben langen Tag!“ Ihr Kapitän lächelte, das kam ihr verdammt bekannt vor, dann hakte sie sich bei Laura unter und zusammen wollten die beiden Frauen den Raum wieder verlassen, doch vorher wurden sie aufgehalten. Carol hatte nämlich jemanden entdeckt, der Kerl reichte ihr knapp bis über die Hüfte und hatte einen grünen Bart. Natürlich war es Karl und er gab gerade mächtig an, machte einen Handstand auf einer Hand und ein paar Damen standen dabei und klatschten. Sie fanden das Gehabe wohl ganz toll. Carol schüttelte amüsiert mit dem Kopf. Sie hatte es doch schon immer gewusst, an dem Kleinen war ein Clown verloren gegangen. Als er sie entdeckte, winkte er, verlor das Gleichgewicht und landete auf der Nase. Nun lachten alle Frauen, auch Laura und sogar Carol ließ sich anstecken. Derweil rappelte sich Karl wieder auf, lief knallrot an und verschwand beschämt unter die Dusche. „Schöner Alleinunterhalter!“ Zusammen verließen die beiden Grazien den Fitnesssaal und betraten alsbald eine Halle, in der es ein Café, ein Bistro und eine Bar gab. Sie setzten sich an einen der kleinen Tische und bestellten sich alkoholfreie Cocktails. Danach schwatzten sie über Gott und die Welt, doch sie waren dabei nicht allein. Auch andere Crewmitglieder machten gerade Pause oder genossen ihren Feierabend. Später gesellte sich Balthasar dazu und er kam nicht allein, er brauchte Karl als Verstärkung mit. Als die Ärztin Bianca Joan ihre Schicht beendet hatte, stieß sie zufällig auch noch dazu. So wurde es ein netter Tagesabschluss in kleiner Runde und als sich viele Crewmitglieder zum Speisesaal begaben, weil es Zeit zum Abendessen war, begegneten sie auf dem g**g dem Zauberer Albert Weisenstein. Er gehörte zum Komitee und dass er hier war, bedeute zweifelsohne, dass man die Tagung beendet hatte. Albert berichtete auch sogleich, dass die Gespräche erfolgreich gewesen waren. Das Grüne Volk des Planeten gehörte ab jetzt zum Bund und die Neulinge konnten es kaum noch erwarten, damit anzufangen, den Weltraum zu bereisen. „Es ist gut, zu wissen, dass es immer mehr Völker gibt, die im Bund vereint sind“, sprach Albert, „denn gemeinsam sind wir stark. Sollte es hart auf hart kommen, haben sie geschworen, Seite an Seite mit uns zu kämpfen.“ Karl feixte, er hatte bereits vernommen, dass die Angehörigen des neuen Volkes auch nicht gerade die Größten waren. „Den Kleinen gehört die Macht!“, gab er wieder einmal einen seiner Sprüche zum Besten. Albert Weisenstein sah ihn schräg von der Seite an, „So Unrecht hast du damit nicht. Denn wie sagt man so schön? Klein, aber oho! Und ich traue diesen Leuten da unten auf dem Planeten zu, in Krisensituationen über sich hinaus zu wachsen.“ Weiter ging es den Flur entlang zum kalten Buffet, Albert erzählte noch von den Verhandlungen und davon, dass er überzeugt war, dass sie sehr gute Verbündete gefunden hatten. Er schwafelte auch noch, als sie längst im Speisesaal beieinandersaßen und aßen. Irgendwann aber hörte er dann von selbst auf. Sonst war er ein Mann weniger Worte. Carol sah ihm den Wortschwall nach. Albert war einer der wenigen Älteren an Bord, angeblich zählte er schon über hundert Jahre, doch darüber sprach er nicht gerne. Nun strich er sich in großväterlicher Manier den grauen Bart zu Recht und lauschte anderen Tischgesprächen. Obwohl er kein äußeres Ohr besaß, wie alle Gorane und trotz seines Alters, hörte er alles sehr gut. Mit dem Sehen war es etwas anderes, auf dem linken Auge war er blind. Dafür nahm er aber Luftschwingungen mit seinen Fühlern über der Stirn wahr. Auch ohne hinzusehen, spürte er, dass Carol sich nicht an den Gesprächen beteiligte, weil ihre Gedanken wo anders waren. Ihre Stirn hatte sich in tiefe Falten gelegt. Ihm kam das seltsam vor, daher hob er den Blick und sprach sie an. „Was ist mit dir, Carol?“ Wieder kam der alte, weise, hellseherische Mann in ihm durch, der für jeden einen Rat hatte. „Nichts“, antwortete sie nicht ganz wahrheitsgemäß, „wirklich. Alles in Ordnung.“ „Hmmm“, brummte Albert, als sie seinem Blick auswich. Sie mochte zwar den vierarmigen, eisblauen Gelehrten, wollte heute jedoch auf seinen Rat verzichten. Auch dies konnte er spüren und ließ es dabei bewenden, derweil zog Laura Balthasar auf, weil ihn diese kleinen Hanteln im Fitnessraum derart angestrengt hatten. Karl wurde nun unverschämt und gab damit an, zehn volle Minuten einen einhändigen Handstand gemacht zu haben. Keiner hörte ihm bei seiner Angeberei zu. Bianca war abgelenkt von Balthasar und Laura, die sich gegenseitig aufzogen. Es war ein offenes Geheimnis, das sie sich sehr gut verstanden und wie sagt man so schön: was sich liebt, das neckt sich. Bianca kicherte, die beiden waren zu komisch. Karl fand es wiederum gar nicht witzig, dass man ihm kein Gehör schenkte. Also wiederholte er seine Prahlerei, bis Bianca ihm das Gesicht zuwandte: „Bist du dir sicher, dass du dich nicht in der Einheitengröße geirrt hast? Meintest du wirklich 10 Minuten oder eher 10 Sekunden?“ Karl brummelte etwas Unverständliches in seinen grünen Bart. Albert Weisenstein sah derweil noch immer zu Carol. „Kapitän“, sprach er mit seiner leisen Tenorstimme, „ich bin zwar alt und auf dem linken Auge blind, aber mit dem rechten Auge sehe ich noch gut und ich erkenne genau, dass etwas nicht stimmt. Aber ich bemerke auch, dass du nicht mit mir darüber sprechen willst. Ich bin darüber nicht böse, denn du bist erwachsen. Aber wisse, mein Angebot bleibt bestehen. Wann immer du deinen Kummer teilen willst, einen Rat brauchst oder einfach nur jemanden, der zuhört, stehe ich zur Verfügung.“ Sein Kapitän lächelte. „Danke, Albert, ich werde darauf zurückkommen.“ Nun nickte er. „Gut, ich werde mich bereithalten.“ „Mau!“, kam es unter dem Tisch hervor, es war Min. Sie war zuletzt im Saal herumgelaufen und hatte gehofft, irgendwo ein Häppchen zu ergattern. Doch ihr Frauchen hatte schon vor einiger Zeit die Mannschaft eingeschworen, Min nichts zu geben. Dieses Schlitzohr sollte schließlich nicht fett werden. Min mauzte kläglich, schließlich war sie gertenschlank! Wie ein Gepard und sie fand es gar nicht komisch, dass alle aßen, nur sie nicht. Dabei vergaß sie, dass sie ihre abendliche Portion längst bekommen hatte. Ihr Frauchen zeigte sich erbarmungslos, Min bekam heute kein Krümelchen mehr. Sie hatte ja nicht nur einen Napf voll Tierfutter verspeist, sondern heute früh schon Karls Pizza. Trotz Katzengejammer verging der Abend im Fluge und das Raumschiff machte sich wieder auf die Reise. Dieser Auftrag war beendet und von Erfolg gekrönt gewesen. Nun ging es weiter und schon bald würden sie die Zone verlassen, die bereits erforscht war. Vorher mussten sie noch einen Planeten aufsuchen, dessen Volk sie ihren Besuch bereits angekündigt hatten. Morgen wiederum stand laut Reiseplan die Besichtigung eines Himmelskörpers an, der noch nicht erforscht war. Dort gab es keine Zivilisation, aber höher entwickeltes Leben und da es an Bord nicht nur das Vermittlungskomitee gab, sondern auch Wissenschaftler, wollte man sich die Leute ansehen, die dort leben sollten, denn Wissen war Macht und zu viel Wissen hatte noch nie jemandem geschadet.
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