Die Ratskammer war stickig vom Geruch nach Tinte, Staub und zu vielen Egos, die sich in einem Raum zusammendrängten. Adrian Wahl saß am Ende des massiven Eichentisches, Feder in der Hand, den Kopf über Pergament gesenkt. Seine Worte würden nie öffentlich seinen Namen tragen — noch nicht — aber er wusste mit einer Sicherheit, die seine Brust zusammenzog, dass dieser Entwurf seine Fingerabdrücke in die Geschichte tragen würde.
Der Gesetzentwurf war Lord Graus Idee: eine umfassende Reform der Arbeitsgesetze, um die brutalen Exzesse der Fabrikbesitzer einzudämmen. Weniger Stunden für Kinder, sichere Bedingungen für Arbeiter, Strafen für Industrielle, die Menschen wie Kohle behandelten, die verbrannt werden konnte. Radikal genug, um die Hälfte des Rates zu erzürnen, aber sorgfältig genug, dass Grau glaubte, er könnte bestehen.
„Jede Zeile wird auseinandergenommen, Wahl“, sagte Grau, hinter ihm auf und ab schreitend, während Adrian schrieb. „Unsere Feinde werden Worte zu Schlingen drehen, wenn wir sie lassen. Sei präzise. Sei scharf. Vor allem: sei klar.“
Adrian sah nicht auf. „Worte sind Waffen. Ich werde jede einzelne schneiden lassen.“
Graus Hand legte sich schwer, aber ruhig auf seine Schulter. „Achte darauf, dass sie die richtigen Hälse treffen.“
Adrian arbeitete die ganze Nacht durch, angetrieben von schwarzem Kaffee und dem Feuer in seiner Brust. Am Morgen lag der Entwurf fertig vor ihm: zehn Seiten klare, kompromisslose Prosa. Grau las still, sein Gesicht ausdruckslos, bis er das Pergament schließlich beiseitelegte.
„Sie sind gefährlich“, sagte Grau. „Und genau deshalb brauche ich Sie.“
Für Adrian fühlten sich diese Worte wie eine Krönung an.
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Am Abend luden die Schwestern Hartwell zu einem kleinen Empfang in ihr Wohnzimmer. Nichts Ungewöhnliches; ihr Haus hatte sich zu einer Art Salon entwickelt, in dem junge Politiker, Schriftsteller und Künstler ebenso eifrig Ideen austauschten wie Klatsch. Adrian war inzwischen ein häufiger Gast, dank seines wachsenden Rufs und Graus stiller Unterstützung.
Emily begrüßte ihn wie immer zuerst. Sie drückte ihm ein Glas Wein in die Hand und lehnte sich nahe zu ihm, ihr Parfum süß und betörend.
„Du bist wieder Gesprächsthema der Stadt“, sagte sie grinsend. „Ich habe gehört, dass du heute Morgen fast den alten Lord Camden an seiner Zigarre ersticken ließest. Was hast du gesagt?“
„Dass der Rat dem Volk gehört“, antwortete Adrian. „Nicht den Familien, die sich seit Jahrhunderten daran klammern.“
Emily lachte, entzückt. „Und Camden hat geschnauft wie ein Teekessel?“
„Schlimmer“, sagte Adrian, ein Lächeln trotz sich selbst. „Er wurde lila.“
Sie schlang ihren Arm durch seinen und zog ihn zum Klavier, die hochgezogenen Augenbrauen der Gäste ignorierend. Adrian spürte, wie Hitze in sein Gesicht stieg, aber er zog sich nicht zurück. Emilies Kühnheit war wie Energie — wild, unverschämt, unmöglich, sich ihr zu entziehen.
Eveline, am anderen Ende des Raumes, beobachtete still. Ihr Blick haftete nicht an Emilies Schabernack, sondern an Adrians Zögern.
Später, als die Gäste weniger wurden und Emily in ein anderes Zimmer mit einer Gruppe lachender Freunde verschwunden war, trat Eveline zu ihm.
„Du genießt die Aufmerksamkeit, die sie dir schenkt“, sagte sie leise.
Adrian drehte sich überrascht um. „Ich—“
Ihr Blick stoppte ihn. Nicht anklagend, sondern fest, forschend.
„Sie ist jung“, sagte Eveline. „Sie versteht nicht, womit sie spielt. Aber du schon.“
Adrian öffnete den Mund zum Protest, doch die Worte verknoteten sich auf der Zunge. Eveline stand so nah, dass er den schwachen Schatten unter ihren Augen sah, die stille Stärke in ihrem Kiefer.
„Ich werde ihr nicht sagen, dass sie aufhören soll“, fuhr sie fort. „Aber ich sage dir dies: Männer, die schnell aufsteigen, ziehen viele Lichter an. Manche brennen hell. Manche brennen falsch. Wähle weise, welchen du folgst.“
Adrian schluckte schwer, sein Hals war plötzlich trocken. „Und welches bist du?“
Evelines Augen wurden nur für einen Herzschlag weich, bevor sie einen Schritt zurücktrat. „Diejenige, die nicht zulässt, dass du dich selbst zu Asche verbrennst.“
Dann drehte sie sich um und verschwand, und Adrian blieb mit dem Geschmack unausgesprochener Worte auf den Lippen zurück.
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Tage später wurde der Gesetzentwurf dem Rat vorgelegt. Die Kammer brodelte vor Wut und Applaus zugleich. Industrielle donnerte, es würde den Handel ruinieren; Reformer feierten ihn als ersten echten Schritt zur Gerechtigkeit. Adrian saß am Rand der Kammer, still, aber innerlich strahlend, während Grau den Entwurf mit Eloquenz verteidigte, die Adrians Hand hinter jeder Zeile verbarg.
An einer Stelle erhob sich Sebastian Krone, die Stimme triefend vor Verachtung.
„Dieser Entwurf“, erklärte Krone, „ist das Werk eines unerprobten Radikalen, der sich hinter Lord Graus gutem Namen versteckt. Albion braucht keine feurigen Kinder, die Manifeste kritzeln. Es braucht Männer von Substanz, von Stabilität. Dies —“ er hob die Seiten, als seien sie Schmutz — „ist nichts als Zunder für das Chaos.“
Murmeln breiteten sich aus. Einige nickten zustimmend. Aber andere — mehr als Adrian je zu hoffen gewagt hatte — schüttelten den Kopf. Krones Worte klangen müde, einstudiert, ein Relikt der alten Garde.
Grau antwortete mit gezügeltem Feuer, zerlegte Krones Rhetorik Stück für Stück. Und obwohl Adrian nie sprach, druckten die Zeitungen nach der Sitzung seine Worte.
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In der Nacht, in seinem kleinen gemieteten Zimmer über einer lauten Straße, lag Adrian wach und starrte an die rissige Decke. Er hätte sich triumphierend fühlen sollen. Die Stadt flüsterte seinen Namen lauter als je zuvor. Lord Grau hatte Vertrauen in ihn gesetzt. Die Schwestern Hartwell — eine neckend, die andere warnend — hatten beide ihre Blicke auf ihn gerichtet.
Doch Krones Stimme lingerte wie Gift: „Ein unerprobter Radikaler… Zunder für das Chaos.“
Adrian ballte die Fäuste und flüsterte in die Dunkelheit:
„Sie werden sehen. Sie werden es alle sehen.“
Und weit entfernt, in seinem eigenen Salon, saß Sebastian Krone, ein Glas Brandy unberührt an seinem Ellbogen, und versprach sich dasselbe.