Unliebsame Vorboten 1/3

2243 Words
Ein Haus reihte sich an das nächste, doch jedes hatte seinen eigenen Charakter. Manchmal war es nur ein Bungalow, dann wiederum schon fast ein Bauernhaus mit so viel Platz, dass ich gar nicht wissen wollte, wie viele Menschen dort wohnten, um diese Größe zu rechtfertigen. In solchen Momenten war ich direkt froh über unsere kleine Wohnung, die dafür sorgte, dass man sich nicht verlor. Vereinzelt drang das Lachen von Kindern zu uns durch und wurde nur durch das Geräusch eines Rasenmähers untermalt. Es war ruhig und nur selten fuhr ein Auto an uns vorbei, weil hier nur die Leute her mussten, die etwas von einen der Häuser wollten. Kirika lief auch jetzt brav neben dir her. Ihr Schwanz war erhoben und immer wieder sah sie kurz zu dir hoch, während du selbst viel zu schweigsam warst. Die Stille zwischen uns war am Anfang noch angenehm, doch langsam wurde sie erdrückend, sodass ich mich verzweifelt an Smalltalk versuchte. „Wie findest du es hier?“ Eine simple Frage. Nur um die Stille zu durchbrechen und ein kurzes Lächeln legte sich auf deine Lippen. „Es ist schön hier. Mir wäre zwar ein anderes Viertel lieber gewesen, aber es passt schon. Mein Dad braucht das irgendwie.“ Ein kurzes Zucken mit den Schultern und dann trat wieder Schweigen zwischen uns, das ich dieses Mal bestehen ließ. Dieses Viertel machte etwas mit dir. Die Leichtigkeit und Fröhlichkeit, die du sonst immer ausstrahltest, waren jetzt verschwunden. Selbst der sonst so federnde Gang von Kirika wirkte im Moment schwermütig und schleppend. Als wollte ihr beide diesen Weg nicht gehen. „So, wir sind da.“ Eine monotone Ansage und wir stoppten vor einer Villa mit zwei Stockwerken. Ihre weiße Fassade wirkte makellos und das eher abgeflachte, rote Dach gab dem Ganzen etwas Majestätisches. Das eiserne Gartentor öffnete sich quietschend und ich trat hinter dir ein. Mich erwarteten ein perfekter, grüner Rasen und ein Garten, der nur Bäume und Büsche kannten, die man feinsäuberlich geschnitten hatte. Mit viel Fantasie könnten sie sogar irgendwelche Figuren darstellen, doch die schien ich nicht zu besitzen. Mir fehlten die Blumen oder andere Farbakzente neben grün und braun. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, führtest du mich schon zu der großen Eingangstür aus Kirschholz. Sie war gesäumt von zwei Säulen, die das Überdach, was gleichzeitig ein Balkon zu sein schien, stemmten. „Ich weiß, viel zu pompös“, sprachst du meine Gedanken traurig aus, doch so schlimm fand ich es nicht. Nur der Garten gefiel mir nicht. Ansonsten waren die großen Fenster ein Hingucker und versprachen viel Licht fürs Innere, doch weiße Vorhänge verhinderten, dass man hindurch sehen konnte. „Definitiv anders als mein Zuhause. Der Garten gefällt mir nicht. Das Haus sieht echt krass aus. Dein Dad muss echt gut verdienen.“ Ich lächelte um meine Verblüffung zu überspielen, doch es wirkte nicht. Dennoch nahmst du es an und erwidertest es kurz. „Ja, tut er und er sucht sich dauernd so übergroße Häuser aus. Keiner braucht so viel Platz.“ Du schütteltest den Kopf und sperrtest dann die Tür mit deinem Schlüssel auf. Innen ging der Luxus weiter. Roter Samtteppich auf den Boden und teure Gemälde an den Wänden. Ich kam mir langsam wie in einem schlechten Film vor. Wir selbst müssten haushalten und hier hing das Geld quasi an der Wand beziehungsweise lag es am Boden. „Ja, das ist echt übertrieben.“ Die Eingangshalle war riesig und umfasste schon fast ein Drittel unserer eigenen Wohnung. Dieser gewaltige Platz erweckte in mir die Angst, dass ich verloren gehen könnte, sodass ich vehement darauf achtete, dass ich dich nicht aus den Augen verlor. „Danke, dass du mich verstehst. Komm, mein Zimmer ist oben.“ Kirika lief freudig voraus und ich folgte dir die große Treppe nach oben. Diese ließ das Gefühl in einem Film zu sein noch größer werden, weil sie genau so aussah, wie all die Treppen, die dann irgendwelche reichen Leute hinunter marschieren, um zu ihren Gästen zu kommen. Oben führten eine Handvoll Zimmer vom Flur weg, doch du steuertest zielstrebig eines an, das am Ende lag. Kirika stand schon ungeduldig vor der Tür und sobald du sie ebenfalls mit einem Schlüssel öffnetest, schlüpfte sie sofort durch den Spalt. Dahinter erwartete mich ein normales Zimmer, mit Möbeln, die auch ich hätte haben können. Ein Bett stand gegenüber der Tür unter dem Fenster und neben der Balkontür. Als ich eintrat, waren dort der graue Teppichboden und die weißen Wände. Ein paar Regale an der linken Wand und ein Schreibtisch rechts neben der Tür. Natürlich standen auch ein Katzenklo und zwei Futternäpfe in einzelnen Ecken. Letztere steuerte Kirika gezielt an und begann zu fressen. Ich hatte das Gurren von Akirai im Ohr und streichelte sie kurz beruhigend, als sie sich tiefer in meinen Haaren zu verstecken versuchte. Hier zu sein machte auch mich nervös. Dein Duft war hier so konzentriert, dass es mir den Atem raubte. Ich versuchte, so flach wie möglich zu atmen, damit mir meine Gedanken nicht gänzlich entglitten und ich mich noch auf etwas anderes konzentrieren konnte als auf dich. „Warum?“, hauchte ich und versuchte, diesen Kontrast zu dem Rest des Hauses zu verstehen. Doch du zucktest erst einmal kurz mit den Schultern, bevor du dich zu Worten durchrangst: „Ich mag den ganzen Prunk nicht. Schlicht und normal reicht vollkommen. Setz dich doch.“ Du deutetest auf dein Bett und meine Gedärme fingen an, sich zu verknoten. Derweil gingst du zu deinem Schreibtisch und holtest deine Matheunterlagen heraus. Schließlich ließ ich mich auf deiner weißen Bettwäsche nieder und streichelte kurz über den samtigen Bezug. Hier schliefst du also. Ob du auch von mir träumst? Das war lächerlich. Warum solltest du? „Du hast es schön hier“, flüsterte ich gegen die Stille und hörte dein kurzes Schnauben, bevor du dich wieder zu mir wandtest. „Wie man es nimmt. Man fühlt sich in so einem großen Haus sehr schnell alleine. Mit wäre eine kleine Wohnung viel lieber.“ In deiner Stimme schwang ein Hauch von Traurigkeit mit und somit entschloss ich das Thema damit auf sich beruhen zu lassen. Ich war nicht hier um dir zu schaden, sondern wollte an sich doch irgendwie eine Nähe zu dir aufbauen. Auch wenn ich mir immer noch nicht sicher war, ob dies eine gute Idee war. Du zogst noch unser Mathebuch aus deiner Tasche, bevor du dann alles auf den Arm nahmst und damit zu mir kamst. Die Matratze senkte sich leicht unter deinem Gewicht und ich rutschte kurz ein wenig in deine Richtung, doch du schienst es nicht zu merken. Ich dagegen umso mehr. Dort waren deine Nähe und deine Wärme. Der Duft, der sich über jede meiner Gehirnzellen legte und sie für jede weitere Information abschottete. Eine Hitze rauschte durch meinen Körper, die mir am Ende einen Schauer über den Rücken schickte unter dem ich leicht fröstelte. „Das ist die heutige Formel.“ Du drücktest mir das aufgeschlagene Mathebuch in die Hand und löstest zumindest zeitweise den Bann, der auf mir lag. Kurz starrte ich die Seiten an, ohne zu verstehen, was dort wirklich stand. Erst nach und nach eröffnete sich ihr Sinn für mich, doch dann war da auch schon dein Heft mit deiner unverkennbaren Handschrift. „Und das hier die Herleitung. Kannst du es lesen?“ Ich nickte nur kurz und dann sprachst du weiter, doch ich hörte dir nicht mehr zu. Du warst so nah. Bei jedem härteren Buchstaben strich dein Atem über meine Wangen. Deine Arme berührten meine Oberschenkel. Du lehntest dich leicht an mich und ich konnte im Augenwinkel dein Profil sehen. Die Augenlider, die sich immer wieder senkten. Deine rosigen Lippen, die Worte formte, denen ich zuhören sollte, doch sie erreichten mich nicht. Wie würde ein Kuss von dir schmecken? Wenn ich mich jetzt ganz leicht nach vorne lehne, dann würden sich unsere Lippen zufällig berühren. Ich könnte so tun, als würde ich die Aufzeichnung genauer ansehen und dir dabei einen kurzen Kuss stehlen. Und was dann? Ja, dann könnte ich austesten, wie du darüber denkst. Deine Reaktion könnte es mir verraten. Aber will ich das. Was soll ich tun, wenn du ausrastest? Es als Versehen abstempeln? Und dann? Ich könnte dir doch nie wieder in die Augen sehen. „Hast du das so weit verstanden?“ Erst als du mich am Unterarm berührtest, kam ich aus meinen Gedanken zurück und konnte deine Frage verstehen. Doch als ich wieder zu deinen Aufzeichnungen sah, war ich genauso schlau wie vorher. „Nein, ich kann mich gerade nicht gut konzentrieren.“ Ich wollte noch mehr sagen, doch dort war wieder deine Sorge, die mich unterbrach: „Wieso? Geht es dir nicht gut? Wirst du krank? So siehst du aber nicht aus.“ „Ich... ich habe im Moment sehr viel im Kopf. Am besten nehme ich deine Unterlagen mit und schreib sie mir ab.“ Ich schlug dein Heft zu und legte es hinter mich, bevor ich mich gänzlich zu dir wandte. Sanft legte ich meine Hand auf deine und drückte sie leicht. Dort war wieder dieser weite Himmel in deinen Augen, der mich hinfort riss. Hinauf in unendliche Weiten, in denen alles möglich schien und die den Wunsch in mir bestärkten, dass ich es wagen sollte. Ich hatte doch nichts zu verlieren. Wir waren noch keine Freunde und im schlimmsten Fall würdest du zu einem weiteren Peiniger werden. Etwas, mit dem ich eher umgehen konnte, als ein Freund. Wolken der Verwirrung erschienen langsam als ich deine Hand fester umschloss und trocken schluckte. Immer wieder glitt mein Blick zu deinen Lippen hinab. Sie waren so nah. Nur noch wenige Zentimeter entfernt. Eine kleine Bewegung und ich könnte dich küssen. Nur ein kurzer Ruck. Ich lächelte dich an und hoffte, dass sich dadurch der Kloß in meinem Hals löste, doch er blieb und lähmte meine Stimmbänder weiter, sodass ich weiter in dein Gesicht sah. Es war perfekt und makellos. All die Fehler, die ich bei mir sah, waren dort nicht zu finden. Deine Augen blieben auch jetzt offen. Trotz der Wolken, die sich immer weiter über deinen klaren Himmel legten und meinen Mut langsam bedeckten. Langsam strich mein Daumen über deine Haut, als ich erkannte, dass ich keine Worte finden würde. Mein Lächeln blieb und auch deine Nähe. Deine Wärme, die sanft über meine Haut kribbelte und in mir den Wunsch sähte mehr zu bekommen. Mehr als nur diese Hand und die netten Worte. So viel mehr als Freundschaft, die ich doch gar nicht wollte. Sollte ich sie deswegen aufs Spiel setzen? Vielleicht würde ich dann gewinnen. Deine Lippen sahen so weich aus. So einladend und dein sanfter Atem, der über mein Gesicht strich. Nur noch ein Stück. Es wäre so einfach und ich würde alles haben, was ich wollte oder dich verlieren. Und genau dieser letzte Punkt ließ mich erstarren. Ich strich nur weiter mit meinen Finger über deine Haut. Die Verwirrung in deinen Augen wuchs, kroch langsam zu deinen Augenbrauen hoch und ließ sie kraus werden. Eine tiefe Falte entstand auf deiner Stirn auf der Suche nach Antworten und bestärkte das ungute Gefühl in mir noch weiter. Doch ich wollte nicht stoppen. Wenn ich es jetzt nicht aussprach, dann würde ich diese Gefühle mit ins Grab nehmen. „Ich muss dir etwas sagen“, flüsterte ich und mein Blick wanderte immer wieder zu deinen Lippen. So unsagbar nah. Wie sie wohl schmeckten? Nur einmal kurz daran nippen und kosten. Dann zersprang der Traum vielleicht sogar von alleine. Doch ich bewegte mich nicht. Etwas sperrte sich in mir und stemmte sich mit aller Kraft gegen diesen Wunsch. Ließ mich so verharren und nur lächeln. Ich verlor mich erneut in deinen Augen. Dort schien alles zu sein, was ich mir all die Jahre erhofft hatte. Du warst alles für mich. Mein Retter und Erlöser. Mein Sinn im Leben und das Licht, das mich aus der Dunkelheit meines Sein herausführte. Deine Nähe war alles, was ich wollte. Langsam legte ich meinen Kopf auf deiner Schulter ab. Dort war dein schneller Herzschlag und dein Duft drang noch intensiver in meinen Geist ein. So könnte ich den Rest des Tages bleiben. Akirai setzte sich dadurch auf meinen Nacken und vibrierte kurz, doch ich wollte meine Position nicht ändern. Du warst mir so nah. Deine Nähe. Deine Wärme. Dein Atem. Dein Herzschlag. Dein Duft. Alles war perfekt, als ich meine Finger mit deinen verhakte. „Halt mich einfach nur fest.“ Eine simple Bitte, die du zögerlich erfülltest, und die Stille kehrte zurück. Geborgenheit hüllte mich in falsche Sicherheit und ich wünschte mir, dass die Zeit stehen blieb und wir uns nie wieder voneinander trennen mussten. Du warst bei mir und mehr wünschte ich mir nicht. Nur hier zu sein und dich zu spüren, doch ein Zittern ging durch deinen Körper. „Was wolltest du mir sagen?“ Angst schwang in den Worten mit und ließ deine Stimme flattern. Ich wollte dies ignorieren. Deine Nähe war perfekt. Dies alles könnte wunderbar werden, wenn wir es nur zuließen. Da war ich mir sicher. Ich lächelte stärker und kuschelte mich näher an dich. Deine Muskeln spannten sich kurz an und auch dein Atem stockte, bevor du tief durchatmetest und dann deinen normalen Rhythmus wiederfindest. Du hattest eine Erklärung verdient und ich sollte es dir sagen, damit wir dann gemeinsam entscheiden konnten, wie es weiterging. Wir beide wussten, was Sache war und dann unser Glück fanden. Also holte ich tief Luft: „Ich ...“
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD