Unliebsame Vorboten 3/3

2462 Words
„Tsuki! So warte doch! Lass uns darüber reden!“ Jedes deiner Worte war wie ein Peitschenhieb für mich, der mich schneller laufen ließ. Der Fahrtwind fühlte sich kalt auf den Spuren der Tränen an, doch nichts davon stoppte mich. Ich rannte weiter. Lauschte dabei deinen Schritten, die nicht näher kommen durften, und hielt Akirai fest und sicher in meinen Armen. Ihr Fell umschloss meine Finger und immer wieder vibrierte ihr kleiner Körper. „Tsuki! Bitte!“, flehtest du hinter mir weiter, doch auch jetzt hielt ich nicht an. Für mich gab es nichts zu bereden. Ich hatte immer noch deine Erleichterung in meinem Ohr und diese wütenden Augen in meinem Geiste. Sogar der unbarmherzige Griff an meinem Arm war immer noch spürbar. Ich wollte nicht mehr dorthin zurück und vor allem wollte ich nicht deine Ausreden hören oder gar darüber sprechen, was ich kurz davor war zu sagen. „Tsuki, das ist doch Schwachsinn. Bleib stehen und lass uns reden, okay?“ Du gabst nicht auf, doch ich konnte nicht. Alles in mir zog sich zusammen, wenn ich nur daran dachte, dass ich dir jetzt in die Augen sah. Es war besser, wenn du mich endlich gehen ließest. „Lass mich einfach! Okay?!“, schrie ich über die Schulter zu dir zurück und erst jetzt verstummten deine Schritte hinter mir. Ich drehte mich nicht um, sondern rannte weiter. Nun geradewegs nach Hause. Etwas, was ich immer noch nicht bereit war dir zu zeigen. Erst als ich in den Hausflur trat, erlaubte ich es mir, tief durchzuatmen und meine Schritte zu verlangsamen. Akirai brummte sofort in meinen Armen und ich streichelte sie beruhigend, bevor mein Blick das Treppenhaus emporstieg. Kurz sah ich zurück auf die Tür. Dort warst du irgendwo. Hätte ich vielleicht doch mit dir sprechen sollen? Dir zumindest kurz zuhören? Aber was dann? Was wenn du mich nach meinem unterbrochenen Geständnis fragen wolltest? Alleine beim Gedanken daran schnürte sich meine Kehle wie mit einem hauchdünnen, scharfen Faden zu. Selbst das Schlucken fiel mir im ersten Moment schwer und brauchte unnatürlich viel Kraft, doch dann lockerte sich die Enge ein wenig. Ich wandte mich seufzend ab und begann die Stufen zu erklimmen. Zwei Stockwerke. Dann würde ich Zuhause sein. Meine Füße trugen mich höher. Nach den ersten Stufen begann ich dann zwei auf einmal zu nehmen, um schneller an mein Ziel zu kommen. Ich wollte in diese sicheren vier Wände. Dorthin, wo man mich immer geliebt hatte und man all diese negativen Gefühle nur aus dem Lexikon kannte. Ich wollte mich sicher und geliebt fühlen. Mama ist bestimmt schon Zuhause. Ich hätte mal anrufen sollen, aber ich hatte nicht gedacht, dass ich solange draußen sein würde. Hoffentlich hat sie sich nicht allzu große Sorgen gemacht. Ich kam schließlich im zweiten Stock an und steuerte eine der drei rechten Türen an. Auf den Weg dorthin kramte ich meinen Schlüssel aus der Tasche und sperrte auf. Ich trat in die Wohnung und sofort kam meine Mutter aus dem Wohnbereich gehechtet. „Tsuki?! Wo warst du? Warum hast du nicht angerufen? Ich habe mir Sorgen gemacht.“ „Es tut mir leid. Ich hab es vergessen.“ Ich trat an ihr vorbei. Sie berührte mich an der Schulter und ich begegnete ihren bedrückten Blick. Erleichterung durchzog ihn, doch die Sorge war nicht gänzlich verschwunden. „Was ist los? Du siehst nicht gut aus.“ Sorge schwang in jedem Wort mit, doch ich schenkte ihr ein Lächeln. „Es... es ist alles gut. Wir haben nur die Zeit übersehen. Ich geh auf mein Zimmer, okay?“ Eine weitere flüchtige Berührung an meinem Oberarm und dann lächelte sie flüchtig. Nur kurz öffnete sie ihren Mund, um etwas zu sagen, doch dann kam nur ein Nicken von ihr. Ich war froh über ihr Verständnis und ging somit weiter in Richtung meines Zimmers. „Wenn du reden willst, dann weißt du ja, wo ich bin, okay? Ich werde dir immer zuhören, Tsuki. Du musst da nicht alleine durch.“ Ein Schauer erfasste mich und ließ den Kloß in meiner Kehle größer werden. Ich liebte meine Mutter für alles, was sie für mich tat und diese kleinen Sätze zeigten mir, wie unendlich ihre Liebe für mich war. Dennoch schaffte ich es nur zu nicken, bevor ich schon in meinem Zimmer verschwand. Ich drehte den Schlüssel herum und sank dann an der Tür hinab zum Boden. Akirai saß immer noch in meinem Arm und schleckte über meine Haut. Sofort begann ich sie wieder zu streicheln und hoffte, dass diese kleine Bewegung das Loch in meinem Inneren verschließen würde. Meine Lippen zitterten unter einem leisen Wimmern und ich rollte mich enger zusammen. Akirai in der Mitte dieses Balles. Dort war ihr leises Brummen und erneut schleckte sie über meine Haut. Doch erst als sie leicht zu knabbern begann, verstand ich ihre Nachricht. Ich stand auf und setzte sie in ihren Käfig, um dann dort auf den Boden zu sinken. Sie humpelte immer noch leicht und vermied es, eins ihrer Hinterbeine zu belasten, doch er wirkte jetzt nicht geschwollen oder ähnlich. „Der ist bestimmt nur verstaucht. In ein paar Tagen geht es dir besser.“ Ich versuchte, meinen Kummer hinter einem Lächeln zu verstecken, doch das Beben in meinem Körper verschwand nicht. Genauso wie der Schmerz in meinem Inneren, der sich weiter durch jede Faser meines Sein fraß. Ein leichtes Brennen an meinem Unterarm bewegte mich dazu den Netzhandschuh auszuziehen und ich erblickte eine Schürfwunde, die aber nicht mehr blutete. Eine Wunde, die mich immer wieder an diese wütenden Augen erinnern würde. An den Hass, der mich aus dem Zimmer geschleudert hatte. An deinen Vater, der nur von außen dir ähnlich sah, aber innerlich ward ihr komplett verschieden. Der Auslöser für diese Wut schien mein Nachname gewesen zu sein, doch was war an ihm so besonders, dass man mich schon deswegen nicht mehr um sich haben wollte? Es war doch lächerlich jemanden nur wegen seinem Namen nicht mehr zu mögen. Oder hatte er vielleicht doch mehr mitbekommen, als ich am Anfang gedacht hatte? Wurde er deswegen wütend, weil er bemerkt hatte, dass ich mehr wollte als Freundschaft? Ein trauriges Lächeln legte sich auf meine Lippen und die ersten Tränen brannten in meinen Augen. Ich wollte nicht weinen, doch diese Ablehnung war mir durchaus bekannt. Hatte mit ihr doch damals alles begonnen. Ich strich mit meinen Fingern über die feinen Narben. Jeder einzelne Schnitt war mir bekannt und auch dieser etwas Größere an meinem Handgelenk. Als ich über die wulstige Haut strich, waren dort wieder die panischen Augen meiner Mutter. Die Angst, die sich durch ihr gesamtes Sein fraß und sie auf ewig zeichnete. Das leise Klimpern meines Armbandes, als es über meine Uhr strich, durchbrach den Bann der Narben, und mein Blick wanderte zu meinem Schmuck. Sonnenlicht und Mondschatten hallten die Übersetzungen unserer Namen in meinem Kopf wider. Es war so bizarr, dass ich nicht glauben konnte, dass dies wirklich wahr sein konnte. Aber ich würde dich jetzt eh nie wiedersehen. Dein Vater verbat bestimmt jeglichen Umgang mit mir und somit würden wir nicht einmal Freunde werden können. Ja, du folgtest mit Sicherheit seinem Willen und somit würden wir einander nicht näher kommen können. Ich liebe dich, tonlos formten meine Lippen diese drei Worte und mein Herz zog sich unter ihnen schmerzhaft zusammen, bevor ich gepeinigt auflachte. Wieso sprichst du von Liebe? Du kennst den Jungen doch gar nicht! Es ist totaler Wahnsinn, in diese Richtung zu denken, und das weißt du. Ja, das weiß ich. Mehr als mir lieb ist und auch wenn es verrückt erscheint, ich kann es nicht weiter leugnen. Ich wünsche mir, ihn zu küssen. Ihm so nah wie möglich zu sein und für immer in seinen Armen zu verschwinden. Ich will am Liebsten ewig bei ihm bleiben. Und dann? Wie willst du dem Alten begegnen? Der bringt dich doch beim nächsten Mal um, wenn er dich in dem Haus erwischt. Es gibt doch noch andere Möglichkeiten sich zu sehen. Die Schule. Die du am Liebsten nie wieder besuchen würdest. Der Park. Wo tausend fremde Leute rumlaufen und du dich niemals trauen wirst, mit ihm ernsthaft zu sprechen. Mein Zimmer. Belüg dich doch nicht so krass selbst. Niemals würdest du ihn hier reinlassen. Sieh es ein, diese Liebe ist zum Scheitern verurteilt. ... Wieso wehrst du dich so gegen diese Erkenntnis? Willst du unbedingt leiden? Das ist doch so lächerlich! Ich kann nicht loslassen. Es fühlt sich falsch an mich abzuwenden. Ich. Ich wünsche mir, dass wir Freunde werden können. Freunde?! Pah! Jetzt lügst du aber wirklich! ... Vielleicht. Ganz sicher. Du willst von ihm geliebt werden und nicht nur als Freund, sondern als Geliebter. Er soll dich halten, küssen und vögeln. Das machen Freunde nicht. Ich weiß. Sei still. Ich weiß es ja, aber es verschwindet nicht. Es verschwindet einfach nicht. Darum sei still. Sei einfach still. Und diese unangenehme Stimme in meinem Inneren verstummte. Ich hasste sie für ihre Existenz. So oft hatte sie mir all die schlechten Dinge vor die Nase gehalten. Unbarmherzig meine Lügen zerschlagen und mich für all meine Hoffnung ausgelacht. Auch jetzt hörte ich ihr hämisches Lachen und begann mit dem Armkettchen zu spielen, um mich davon abzulenken. Unser Schmuck war sich so ähnlich und doch verschieden. So wie wir und unsere Namen. Sie verkörperten alles, was uns betraf. Der Mond, der kalt und ungesehen sein wollte. Die Sonne, die über alle strahlte und von jedem geliebt wurde. Verband uns wirklich etwas? Wusste dein Vater vielleicht etwas, weswegen er jetzt so ausgerastet war? Aber was? An sich war es doch egal. Wir würden uns eh nur noch in der Schule sehen. Diese Freundschaft war vorbei bevor sie überhaupt entstehen konnte. Dein Vater wird dir jeden Kontakt zu mir verbieten und in der Schule könnte ich dir niemals so begegnen wie woanders. Erneut legte sich diese Schwere auf mein Herz und trieb Tränen in meine Augen, die ich erst versuchte wegzuwischen, doch als sie in die Freiheit stürzten, war jede Gegenwehr zwecklos und so vergrub ich mein Gesicht nur in meinen Knien. All dies war lächerlich und an sich wollte ich diese Nähe doch am Anfang gar nicht. Wieso trauerte ich dir jetzt hinterher? Das war totaler Schwachsinn. Ich sollte froh sein, dass es sein Ende fand, bevor ich mich gar nicht mehr von dir loseisen konnte. Es fühlte sich aber nicht so an. Alles in mir schrie nach dir. Ich wollte dich wieder berühren und deiner sanften Stimme lauschen. Deinen Duft einatmen und mich in deiner Gegenwart vergessen. Einfach alles ignorieren, was das Leben mir sonst so zumutet. Das Lachen von Timmy und den anderen. Diese verächtlichen Blicke von Mitsumi und ihren Freundinnen. All das schien unbedeutend zu sein in diesem winzigen Moment in deinem Zimmer, als ich dir so nah sein konnte, dass deine Wärme meine Haut zum Kribbeln gebracht hat. Doch all dies ist nun weg. Es glitt spürbar durch meine Finger und egal wie verzweifelt ich sie zusammenballte, ich konnte es nicht festhalten. Diesen Moment und die Möglichkeit auf eine Freundschaft mit dir. Die Möglichkeit, endlich dieser Einsamkeit zu entkommen. Ich schluchzte kurz, als ich noch einmal die Tränen wegwischte, doch sie wollten noch nicht versiegen. Auch nicht, als ein zaghaftes Klopfen erklang und kurz darauf die Stimme von meiner Mutter: „Tsuki? Abendessen ist fertig. Willst du nicht rauskommen? Wir finden bestimmt eine Lösung. Außerdem muss ich dir auch noch etwas erzählen.“ Alleine bei dem Gedanken etwas zu essen, drehte sich mein Magen um und es schob sich ein harter Kloß in meine Kehle. Dort war das leichte Flehen in ihrer Stimme und eine kurze Neugier, was sie mir sagen wollte, doch bei dem Gedanken diesen sicheren Ort zu verlassen, zog sich alles in mir zusammen und ließ mich zitternd zurück. „Ich... ich habe keinen Hunger. Erzähl es mir bitte jetzt oder später. Ich... ich will nur hierbleiben, okay?“ Jedes Wort fiel mir schwer und die Stille, die mich dann empfing, ließ mich an meiner Wahl zweifeln. Das Ticken meiner Wanduhr drang an mein Ohr. Genauso wie das Rascheln von Akirai in ihrem Einstreu. Kurz zweifelte ich daran, dass sie es überhaupt gehört hatte, doch dann brach sie das Schweigen: „Ist okay. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Ich bin da, wenn du mich brauchst.“ Ich konnte das Zittern der Tränen in ihrer Stimme hören und es versetzte mir einen Stich ins Herz, dennoch konnte ich mich nicht rühren, sondern starrte nur auf die Tür. Leise entfernten sich ihre Schritte und dort war wieder die Stille, die mich umschloss. Dort war keine Erleichterung in meinem Herzen, sondern nur die weitere unerträgliche Schwere, die alles, was mir wichtig war, hinunterzog. Ein leises Nagen holte mich aus diesem Loch empor und ich erblickte Akirai, die in der Käfigtür stand. Sie sah mich auffordernd mit ihren großen, schwarzen Augen an und entlockte mir damit ein Lächeln, bevor ich sie dann vorsichtig herausholte. „Ja, du hast Recht. In deinem Käfig ist es langweilig. Du solltest dich aber dennoch ein wenig schonen, damit du in ein paar Tagen wieder gesund bist.“ Ich strich ihr sanft über das Fell und erneut kam ihr leises Brummen, bevor ich mich schließlich mit ihr erhob, um mich dann auf mein Bett zu legen. Sofort setzte ich sie auf meine Brust, wo sie sich schon zufrieden hinlegte und mich weiter mit ihren dunklen Augen ansah. „Wir werden nicht mehr in dieses Haus gehen, Akirai. Das verspreche ich dir. Dieser böse Mann kann uns mal.“ Diese Sätze auszusprechen tat gut und nahm mir auch ein wenig die Last von meinen Schultern. Vor allem dieses Schuldgefühl dir gegenüber. Du warst nicht der Grund, sondern dein Vater. Ich wollte diesem grausamen Menschen nicht mehr begegnen und im Gegensatz zu meinen Klassenkameraden hatte ich dort auch die Möglichkeit, den Kontakt zu vermeiden. „Es tut mir leid, dass du das Alles miterleben musstest. Man hat dir wehgetan an dem Ort, wo du dich am sich­ ersten gefühlt hattest. Aber ich verspreche dir, dass so etwas nie wieder passieren wird. Du warst immer für mich da. Immer und jetzt konnte ich dich nicht einmal beschützen“ Ich schluckte hart, als erneut Tränen in meine Augen stiegen, während ich weiter über ihr Fell strich. Immer wieder lief vereinzelt eine Träne über meine Wangen, wenn einzelne Szenen des Tages zurück in meinen Geist kehrten. Doch ich blieb nur liegen, streichelte Akirai und versuchte, das Chaos in meinem Inneren zu sortieren. Doch es wollte mir nicht gelingen. Auch nicht, als mein Zimmer schon immer mehr in Dunkelheit getaucht wurde und Akirai zurück in ihren Käfig wollte. Erst dann ging ich ebenfalls ins Bett und hoffte, dass dieser Tag nur ein unbarmherziger Alptraum gewesen war. Doch er war leider erst der Anfang ...
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