Ihre Mitbewohnerin hatte keine blöden Fragen gestellt. Sie konnte mit einer warmen Jacke und etwas zum Essen wieder zurück in den Unterschlupf gehen. Hoffentlich hatten die Wächterinnen ihn noch nicht gefunden, doch eigentlich hatte sie das Haus abgeschlossen. Es sollte also nicht möglich sein. Auf den Weg dorthin war ihr keine Wächterin begegnet. Suchten sie woanders oder hatten sie mittlerweile aufgegeben?
Tia war sich nicht so sicher, was sie mehr hoffte. Vielleicht hatten sie ihn ja doch gefunden. Sofort beschleunigte sie ihre Schritte und eilte zu dem Haus, um dann die Tür aufzusperren und hektisch hinein zu stolpern.
Sie wurde von Stille begrüßt. Eisiger Wind glitt über ihre Haut und der Raum war leer. Die Decke lag achtlos auf dem Boden und sie konnte Spuren von hektischen Bewegungen erkennen. Hier war etwas geschehen. Tia war sich nur nicht sicher, was es war. Ruhig sah sie sich um und versuchte die negativen Gedanken im Zaum zu halten. Nur weil es so aussah, musste es nicht so sein. Warum sollten sie in dieses Haus einbrechen? Das ergab keinen Sinn. Schließlich sah es von außen baufällig und unbewohnt aus. Auch konnte man durch keines der dreckigen Fenster sehen. Sie konnten ihn also gar nicht entdeckt haben.
Nach einer Weile entdeckte sie das geöffnete Fenster und irgendwie beruhigte sie dieser Fakt sogar ein wenig. Scheinbar war er geflohen und wurde nicht wieder festgenommen. Doch was sollte sie jetzt tun? Sie wollte ihm schließlich helfen und jetzt war er weg. Dort draußen gab es keinen sicheren Ort für ihn. Er konnte sich nirgends verstecken.
Kurzerhand holte sie ihr Handy raus und wählte die Nummer ihrer Anführerin. Sie lauschte dem Freizeichen und sah kurz auf die Uhr. Doch, sie sollte erreichbar sein. Nach einer schieren Ewigkeit wurde abgenommen und sie hörte eine schwer atmende Stimme: „Ja?“
„Hallo, Thundercat? Ich bin es, Herzhase. Kannst du gerade sprechen?“ Sie war froh, dass sie sie erreicht hatte, denn sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. „Einen Moment. Ich wechsel kurz das Zimmer.“ Sie hörte, wie Thundercat zwei Sekunden später aufstand und den Raum verließ, bevor sie dann weitersprach: „So, jetzt. Was gibt es?“
„Du hast doch von dem Flüchtling gehört. Ich habe ihm geholfen, aber er ist weggelaufen. Wir müssen die anderen Mädels aktivieren, damit wir ihn finden und an einen sicheren Ort bringen können.“ Sie hoffte so sehr, dass Thundercat ihr helfen würde und ebenfalls die Dringlichkeit der Situation erkannte.
„Okay, ich werde den anderen Bescheid geben, dass sie durch die Straßen ziehen sollen. Vielleicht findet ihn jemand. Auf jeden Fall treffen wir uns morgen Mittag im Lager und besprechen, was wir tun und wie wir diesen Ausbruch für uns verwenden können. Man hört sich, Herzhase.“ Tia stimmte Thundercat nur kurz zu und schon legten sie beide auf, wodurch sie kurz durchatmete.
Okay, jetzt hatte sie eine grobe Vorstellung, was sie tun musste. Also, sollte sie das in Angriff nehmen. Raus auf die Straße und vielleicht hatte sie ja Glück und sie fand den jungen Mann wieder. Zumindest bevor es die Wächterinnen taten...