Szene 16

1591 Words
Es war nicht möglich! Das durfte nicht sein! Bestimmt hatte sie sich nur verrechnet! Ganz bestimmt! Alles andere war unmöglich! Viktoria blätterte noch einmal durch ihren Kalender. Sie zählte die Tage. Vorher. Nachher. Es waren immer 28 Tage gewesen. Doch jetzt. Jetzt waren schon 32 vergangen. Das konnte nicht sein. Hatte sie vielleicht zu viel Stress? Es konnte ja sein, dass sich alles verschoben hatte. Man wusste ja nie. Sie hatte davon doch schon öfters gehört. Ja, hatte sie. Gehört. Aber nie erlebt. Normalerweise hasste sie ihre Menstruation, doch jetzt wünschte sie sich diese herbei. Sie musste ihr zeigen, dass der s*x mit Kim kein Fehler war. Es musste alles okay sein. Sie durfte nicht schwanger sein. Schließlich hatten sie doch rechtzeitig aufgehört, oder nicht? Er hatte es ihr doch versprochen. Sie spürte, wie ihr leicht schlecht wurde. Das hatte sie in letzter Zeit öfters, doch wenn sie etwas aß, dann ging es ihr meistens besser. Das waren nur die Nerven. Ja, gerade hatte sie einen schwierigen Kunden in der Arbeit. Bestimmt war es deswegen. Sie nahm viel zu oft die Probleme von der Arbeit mit nach Hause und aktuell fühlte sie sich wirklich alles nur nicht gut. „Schatz, ich bin Zuhause.“ Kim betrat die Wohnung und hatte eine Tüte in der Hand. Sie musste es jetzt wissen. War es möglich? Konnte es wirklich so sein? Sie wollte dies nicht tun, aber sie mussten sich einen Plan überlegen, wenn es doch so war. „Hast du ihn bekommen?“ Sie spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen. Warum hatte sie es ihm erlaubt? Sie hätte ihn wie sonst auch immer abweisen sollen. Warum war sie schwach geworden? Sie hätte es verhindern müssen. Schließlich wusste sie, was sie erwartete, wenn es doch passierte. „Ja. Es war nicht einfach. Das Kinderwunschzentrum hat mich komisch angesehen, weil sie die Tests ja nur an ihre Patienten verteilen. Aber ich hab ihnen deinen Zettel gegeben und sie haben mir den Test überlassen. Scheinbar hat sie dein Schreiben überzeugt. Was stand denn drin?“ Er überreichte ihr die Tüte und sie nahm sie an. Sofort öffnete sie diese und fand darin den Test, der Klarheit verschaffen sollte. „Ich hab ihnen geschrieben, dass ich meinen Schülerinnen gerne mal zeigen wollte, wie so ein Test funktioniert. Scheinbar haben sie es gefressen. Gut.“ Mit zitternden Händen nahm sie die kleine Packung heraus. Er sah unscheinbar aus. Ein Stäbchen, das man in den Urin hielt. So einfach sollte es sein? Da war wirklich nicht viel dabei. Ein Wunder, dass man ihr abgekauft hatte, dass sie es demonstrieren wollte. Aber gut, solange es funktionierte, wollte sie sich nicht beklagen. „Und wie geht das jetzt?“ Kim sah sie nervös an. Er wusste auch, dass es für sie das Todesurteil bedeuten konnte, wenn dieser Test positiv war. Sie wussten nicht, wie sie es der Welt erklären oder gar wie sie damit umgehen sollten. „Ich muss nur drauf pinkeln und nach ein paar Minuten zeigt er mir das Ergebnis.“ Sie holte tief Luft. Diese Situation war scheiße. Nichts anderes traf es besser. Klar, sie liebte Kim und eigentlich konnte sie sich schon lange ein Kind mit ihm vorstellen, doch sie wusste auch, dass dies niemals möglich war. Kim hätte im Zuchthaus sitzen müssen, damit sie irgendwie eine Familie gründen könnten und dann. Ja, dann würden sie sich nie wieder berühren können. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie leicht. Niemals wollte sie diese Situation und auch wenn sie sich eher als Mann fühlte, so hätte sie sich für ein Kind mit Kim ausgesprochen. Kinder waren etwas Tolles, aber es war eigentlich nicht möglich. Nicht so, wie es bei ihnen passiert war. Ruhig führte sie seine Hand zu ihren Lippen und hauchte einen Kuss darauf. Sie wollte spüren, dass er bei ihr war und nicht verschwand. Alleine würde sie das nicht schaffen. Sie hatte solche Angst, was der Test aussagen würde. Er konnte ihr Todesurteil sein. Für sie beide. „Ich habe Angst.“ Sie fühlte sich so schwach und machtlos. Im nächsten Moment umarmte er sie und drückte sie an seine Brust. „Ich auch. Es... es tut mir Leid. Ich... ich hätte nicht darauf bestehen sollen. Schließlich habe ich auch zugestimmt und ich weiß, was für ein Risiko wir hier eingehen. Was du hier eingehst für mich. Es... es tut mir so sehr Leid. Bitte verzeih mir. Ich hätte meinen Platz wissen müssen.“ Er drückte sie fester an sich und sie spürte, wie sein Körper zu zittern begann, während er sie einfach festhielt. Sie begann beruhigend über seine Brust zu streicheln. Ja, sie liebte diesen Mann so sehr und es tat ihr weh zu sehen, wie er unter der Schuld zerbrach, die er sich alleinig geben wollte. Sie schüttelte den Kopf und holte tief Luft. „Dazu gehören immer Zwei. Ich hätte es auch verhindern können. Dich abweisen können. Aber... ich wollte dir einen Gefallen tun. Dir ein gutes Gefühl geben. Wir haben beide die Situation falsch eingeschätzt. Aber jetzt lass uns erst einmal das Ergebnis des Tests abwarten.“ Sie wollte noch hoffen, dass es anders war und so trennte sie sich leicht von ihm, bevor sie aufstand und auf Toilette ging, um den Test zu machen. Wenn sie wussten, wie die Situation wirklich war, dann konnten sie sich überlegen wie es weiterging. Es half nichts, wenn sie sich umsonst jetzt in den Wahnsinn trieben. Vielleicht verschob sich ihr Zyklus nur wegen den Stress und sie würde bald ihre Periode bekommen. Ja, vielleicht machte sie sich gerade umsonst Sorgen. Ruhig steckte sie den Deckel wieder auf das Stäbchen und sah auf den Test. Er füllte sich mit der Flüssigkeit und begann ihn zu verfärben. Es durfte nur ein Strich kommen. Ein einziger. Das war gut. Alles andere war nicht akzeptabel. Die Flüssigkeit stieg weiter und färbte einen Strich. Es ging weiter. Viktoria spürte, wie ihr Herz schneller schlug, als sie langsam zurück zu Kim ging. Es sollte zwei Minuten dauern bis das Ergebnis eindeutig war, doch sie erkannte es jetzt schon: Nach und nach erschien ein zweiter Strich. Ihr Herz setzte aus und schlug schneller, als ihr warm und kalt zugleich wurde und ihre Beine unter ihrem Gewicht nachließen. Sie erreichte Kim nicht einmal mehr, sondern brach mitten im Wohnzimmer zusammen, als ihr das Ergebnis bewusst wurde: Positiv. Sie war schwanger! „Viki!“ Sofort war Kim bei ihr und sie hielt ihm mit zittrigen Fingern den Test hin, während sie nur am Rande wahrnahm, dass sie weinte. Es konnte nicht sein! Es durfte nicht sein! Das war unmöglich! Dieser eine s*x konnte ihnen doch ihr Leben nicht so stark versauen! Das war ein Witz! Ein äußerst schlechter Witz! „Was bedeutet das?“ Kim verstand nicht. Vielleicht wollte er auch nicht, denn sein Gesicht war dennoch kreidebleich. „Ich bin schwanger.“ Sie flüsterte nur und im nächsten Moment sprang sie auf. Dabei verpasste sie ihm eine schallende Ohrfeige. „Du hast mich geschwängert! Du hast mir versprochen rechtzeitig aufzuhören! Wie ist das möglich?! Du hast ihn doch raus gezogen, bevor du fertig warst! Warum hast du mich dennoch geschwängert?! Wie ist das möglich?! Was sollen wir jetzt tun? Wenn ich schwanger auf der Arbeit auftauche, dann werden sie Fragen stellen! Sie werden Fragen stellen und Antworten finden! Antworten, die wir nicht überleben!“ Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Dieses Kind in ihr würde sie umbringen! Sie musste es wegmachen! Es musste verschwinden! Sofort begann sie sich in den Bauch zu boxen. „Es muss da raus! Es muss verschwinden! Geh raus, du Bastard!“ Ihr Magen schmerzte, doch sie hörte nicht auf. Erst als Kim sie sanft festhielt. Ihre Blicke trafen sich und auch sie erkannte, dass er den Tränen nahe war und die pure Verzweiflung seinen Verstand beherrschte. „Hör auf! Das bringt doch nichts! Damit verschwindet das Kind doch nicht! Wir dürfen jetzt nicht den Kopf verlieren! Klar, es ist scheiße! Aber es ist dennoch unser Kind!“ „Heißt das, dass du es behalten willst?“, hauchte Viktoria fassungslos. Das konnte nicht sein Ernst sein! Wie sollten sie das der Welt erklären?! „Nein. Ja, wenn die Welt anders wäre, hätte ich schon gerne ein Kind mit dir. Aber es geht nicht. Vielleicht kennen wir ja jemanden, der uns dabei hilft es los zu werden ohne, dass es die Allgemeinheit erfahren muss.“ Er hielt sanft ihre Hände und spendete ihr damit Nähe und Kraft. Sie fühlte sich von ihm beschützt und auch wenn sie gerade noch versucht hatte das Kind selbst abzutreiben, fühlte sich ihr Herz kalt an, wenn sie daran dachte. Jetzt, nach seinen Worten, wirkte dieser Gedanke plötzlich falsch. Ohne zu überlegen, legte sie die Hände auf den Bauch, bevor sie dann sanft den Kopf schüttelte. „Lass uns erst einmal abwarten. Viele Schwangerschaften brechen von selbst in den ersten drei Monaten ab. Deswegen werden sie sehr engmaschig kontrolliert. Vielleicht haben wir ja Glück und es passiert auch.“ Sie lächelte ihn ruhig an und Kim erwiderte diese kleine Mimik, bevor er dann nickte. „Okay, lass uns erst einmal abwarten. Vielleicht löst es sich von selbst. Danach können wir immer noch überlegen, was wir tun.“ Viktoria nickte und auch wenn sie gerade ihr eigenes Todesurteil in ihrem Bauch trug. So war die Angst für diesen Moment verschwunden, denn als sie Kim ansah, spürte sie, dass sie die Möglichkeit in sich trug mit ihm eine richtige Familie zu werden. Eine Familie, die sie sich eigentlich immer schon gewünscht hatte...
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