Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt 1

4969 Words
Sein Schwert schnitt durch die Luft. Zerriss Rüstungen, Haut und Lebensfäden. Er sah nur noch die rote Flüssigkeit, die sich immer weiter auf seinem Körper verteilte. Alles verschlang, was er jemals war oder sein würde. Ihn umhüllte wie eine zweite Haut, all sein Denken benebelte und ihn dadurch immer tiefer in den Blutrausch führte. Kurz schleckte er sich über die Lippen, um zu kosten, was er so sehr begehrte: Das Blut seiner Feinde. All diese Engel, um ihn herum. Sie mussten sterben, da sie sich immer schon für etwas Besseres gehalten hatten. Nur weil sie im Paradies lebten und nicht wie sie in der Hölle. Lächerlich. So schön war es hier auch wieder nicht. Die einst so reine und weiße Welt war nun befleckt mit der roten Flüssigkeit ihrer Bewohner. Sie hatte all ihre Unschuld verloren und wirkte nun viel mehr wie eine billige Kulisse in einem Horrorstreifen. Er hörte seine Kameraden triumphierend aufschreien, als ein Engel nach dem anderen fiel. Dieser Angriff war für die Himmelsbewohner überraschend gekommen und würde zerstörerisch sein. Eigentlich hatten sie sich darauf geeinigt, sich nur auf der Erde zu bekriegen, doch die Dämonen wollten nicht mehr. Sie konnten nicht mehr weiter dabei zusehen, wie diese Federträger sich über sie lustig machten und so fielen sie jetzt in das Himmelsreich ein, um endgültig zu beweisen, wer der Stärkere von ihnen war. Nicht diese von Gott so geliebten Geschöpfe, sondern die Kreaturen, die verstoßen wurden und um ihr eigenes Leben kämpfen mussten. Die ihre Existenz hart erarbeitet hatten und nicht alles in den Arsch geblasen bekamen. Sie waren die wahre Spitze der Nahrungskette und auf der heutigen Menükarte stand Geflügel. «Vorwärts, Xenio! Nur nicht nachlassen!» Eine Dämonin flog an ihm vorbei. Ihre Flügel waren so blutbefleckt wie seine und Xenio wusste nicht, ob es ihr eigenes oder das ihrer Feinde war. Aber es war auch egal. Sie hatte Recht. Er durfte seine Konzentration nicht verlieren, sondern musste weiter vorwärts drängen und durfte den Engeln keine Chance geben, sich zu sammeln und einen Gegenangriff zu starten. Immer wieder warfen sich ihnen die hiesigen Bewohner entgegen. Xenio musste eine himmlische Klinge parieren und stach dann noch in derselben Bewegung zu. Seine schwarzen Handschuhe waren bereits vollgesogen und so lief der neuerliche Schwall Lebenssafts nur noch über den Stoff und tropfte hinunter, während Xenio in die entsetzten Augen des Engels blickte. Sie alle verstanden nicht, was hier passierte und das war ihr Untergang. Zu verwöhnt waren sie von dem scheinbaren Frieden und diesem fernen Krieg, der doch niemals vor ihre Tore gekommen war. Sie hatten sich zu sehr darauf konzentriert Seelen zu sammeln und ihre Kriegerausbildung schleifen lassen. Das würde jetzt ihr Todesurteil sein. Xenio stieß den Toten unsanft von seiner Klinge und ließ ihn zu Boden stürzen, als er sich schon weiter umsah. Seine Kameraden wüteten unbarmherzig zwischen den heiligen Geschöpfen, die sich verzweifelt wehrten. So viele Feinde und doch so unbedeutend. Alle bis auf einen. Der Dämon traute seinen Augen nicht, als er den Engel erblickte, der in den hinteren Linien stand und sein Zepter bedrohlich schwang. Er zauberte durch die Bewegung seiner Waffe, schickte Pfeile aus Licht in die Reihen der Dämonen, sodass kein Feind ihm nahe kam und heilte seine Kameraden, indem er ihnen seine Hand auflegte. Dieser Körper war nicht gemacht, um ein Schwert zu schwingen. So zierlich und zerbrechlich wie er wirkte, konnte man meinen, dass er keine Gefahr war, doch die Aura, die von ihm ausging, sprach das genaue Gegenteil. Sie strahlte aus, dass er bereit war, alles zu zerstören und auch die Möglichkeit dazu besaß. Auch wenn er nur ein Paar Flügel besaß, so strahlte er die Macht eines Seraphim aus. Das glatte, braune Haar fiel ihm wie flüssige Schokolade über die Schultern und schien seinen Körper fast gänzlich einzuhüllen. Obwohl sein Gesicht so zart und makellos war, ließ der Ausdruck darauf auf keine Gnade hoffen. Xenio konnte sich von dieser Entschlossenheit kaum lösen, doch plötzlich durchfuhr ihn ein gleißender Schmerz, der ihn kurz aufschreien und sofort herum schnellen ließ. Noch in der Drehung trennte er den Kopf von den Schultern des Engels und hielt sich mit seiner freien Hand die blutende Seite. Das durfte nicht wahr sein! Er war so sehr von diesem Engel fasziniert gewesen, dass er seine Deckung vernachlässigt hatte. Das würden sie ihm büßen. Niemand verletzte ihn ungestraft! Sein Blut hatte einen hohen Preis und den würden sie nun bezahlen. Einer nach dem anderen. Niemand sollte die Begegnung mit ihm überleben. Kein einziger Engel. Seine Hand umfasste den Griff seines Einhänders fester und mit einem animalischen Schrei stürzte er sich in eine Gruppe von Engeln. Sie sollten alle bezahlen. Für ihre Arroganz und für diese Wunde. Niemand würde ihn je wieder verletzten. Er war Xenio Achmaras. Ein hoher Dämonenfürst und daher konnte er gar nicht verlieren. Das verbat ihm sein Stolz. Sie hatten keine Chance und selbst wenn sie ihn trafen, hielt er nicht inne, sondern tötete sie nur einen Herzschlag später. Er wütete weiter. Unnachgiebig und gnadenlos. Seine Klinge war getränkt in Blut und hatte jeden silbernen Schimmer verloren. Sein Gesicht war nur noch eine Fratze des Grauens. Er musste sie alle töten. Sie durften nicht mehr leben. Alle mussten sterben. Alle bis auf ihn. Diesen zierlichen Engel mit den braunen Haaren. Der sollte ihm gehören. Ihm ganz alleine. Für alle Zeit... Es waren so viele. So viele, die auf sie einstürmten und Cido spürte, wie seine Muskeln unter der Belastung protestierten, als er immer wieder sein Zepter bewegte. Er war kein Krieger und hatte noch nie so lange am Stück zaubern müssen, aber wenn er jetzt aufgab, dann wäre sein Leben verloren. Darum biss er die Zähne zusammen und schickte einen neuen Pfeilhagel in die Reihen der Feinde. «Cido! Wir müssen uns zurückziehen! Am besten in die große Kathedrale!» Ein Engel zog an seinem Arm und wollte ihn mit sich nehmen, doch Cido ließ es nicht geschehen. Noch einmal schwang er sein Zepter, um einen Lichtstrahl auszusenden, der alle Dämonen, die er berührte, verbrannte. «Komm jetzt!», drängte der Engel weiter und Cido löste sich nur widerwillig von seinem Platz. Die Dämonen griffen weiter an. Sie töteten jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Die Infanterie fiel unter ihren Schwertern in einem Meer aus ihrem eigenen Blut. All diese Fratzen, die nach dem Tod lechzten. Sie waren blutverschmiert und lächelten wahnsinnig, wenn sie nicht sogar lachten, kaum dass ein neuer Engel fiel. Cido konnte nicht verstehen, wie es hatte passieren können. Alles war so friedlich gewesen, bis das Horn erklungen war und den Angriff verkündet hatte. Seitdem waren da nur noch diese dunklen Gestalten, die diesen wunderschönen Ort in Blut tränkten. Immer neue Engel warfen sich den Dämonen entgegen, während Cido weiter durch die Reihen gezogen wurde. Er wollte kämpfen und als er einen Verletzten erblickte, stoppte er kurz, doch sein Kamerad zog ihn weiter, ohne auch nur auf seinen Protest zu achten. «Halt, Shubi! Wir können ihn doch nicht liegen lassen!» «Er ist schon so gut wie tot. Wenn du bleibst, wird es dir nicht besser ergehen. Außerdem sind wir schon fast da.» Shubi ließ sich nicht aufhalten und im nächsten Moment erblickte Cido die gewaltige Kathedrale. Man begann schon damit die Fenster zu zumauern und immer mehr Engel stürmten in das Gebäude. Da drinnen würden sie doch wie Mäuse in der Falle sitzen! Die Dämonen ließen sich davon sicher nicht aufhalten! Noch einmal sah Cido zurück, nur um festzustellen, dass die Dämonen immer näher kamen, doch als er gerade wieder nach vorne sehen wollte, fiel ihm ein Dämon in der Masse auf. Sein kurzes, blondes Haar war verklebt von dem vielen Blut, das ihm in breiten Bahnen über das Gesicht lief, während sich der schwarze Stoff unter den Muskeln immer wieder spannte. Die Art, wie dieser Dämon sein Schwert führte, war schon fast meisterlich. Er ließ fast keinen Angriff zu sich durchkommen, obwohl er bestimmt schon seit langer Zeit auf dem Schlachtfeld stand. Musste er da nicht müde sein? Cido selbst spürte, wie seine Arme immer schwerer wurden nur, weil er das Zepter hielt. Er könnte sich nicht mehr so bewegen wie dieser Dämon, der mit dem vielen Blut wirklich eklig aussah, doch Cido konnte nicht umhin ihn für seine Kampfkunst zu bewundern. Plötzlich wurde er grob in die Kathedrale gestoßen und Shubi drängte ihn sofort weiter. «Nicht stehen bleiben. Geh weiter! Wir müssen uns einen sicheren Ort suchen!» «Aber so etwas gibt es hier doch nicht! Die Dämonen werden uns auch hier überrennen! Wir haben keine Chance!» «Hör auf so negativ zu sein! Da ist ein ruhiger Fleck!» Cido wurde von Shubi in eine Ecke gedrängt und ließ dabei sein Zepter fallen, doch er war sich sicher, dass er es sowieso nicht mehr lange verwenden konnte. Auch ohne die Waffe war er in der Lage kleine Zauber zu sprechen. Sie verstärkte ihre Wirkung nur und um einen einfachen Dämon Ärger zu bereiten, reichten Cidos alleinige Kräfte allemal. Er sah sich um. Viele Engel kauerten ängstlich auf dem Boden. Sie hofften und beteten, dass dieser Alptraum vorbeigehen würde, doch es war kein Traum und sie würden deshalb auch nicht daraus erwachen können. Einzelne Magier und Bogenschützen standen an den Fenstern, um die Dämonen so gut es ging abzuwehren. Für einen Moment spielte Cido mit dem Gedanken ebenfalls zu helfen, aber Shubi legte ihm sofort eine Hand auf den Arm und schüttelte dann den Kopf. «Du kannst da nicht helfen. Die Magier dort sind stärker als du. Überlass es ihnen. Sie werden die Dämonen schon abwehren.» Shubi lächelte Cido an, doch dieser konnte es nur halbherzig erwidern, bevor er sich dann erhob und zu einem verletzten Engel ging, um zumindest diesen zu heilen. Dabei ignorierte er den Protest seines Freundes. Cido musste irgendetwas tun. Er war nicht der Typ, der tatenlos daneben stand, wenn er die Möglichkeit besaß, auch etwas beizusteuern und so begann er durch die Reihen zu wandern und Verletzungen zu heilen. Shubi hatte relativ schnell mit seinem Protest aufgehört und begleitete ihn jetzt lieber. Plötzlich ertönte ein lauter Knall und einige Engel fielen schwer verwundet oder tot von ihren Verteidigungsposten. Unter einem weiteren Aufprall begann die Kathedrale zu beben und Cido konnte sich nur mit Mühe an einer Bank festhalten, wohingegen Shubi unsanft auf seinen Hintern fiel. Was geschah hier? War es nun so weit? Würden die Dämonen sie jetzt gänzlich überrennen und vernichten? Immer mehr Engel fielen von ihren Posten und Dämonen drangen durch die freien Stellen ein, als auch das Tor unter einem lauten Splittern aufbrach. Dort waren sie wieder. Diese Fratzen voller Blut und Wahnsinn. Sie fielen über sie her, wie Heuschrecken über ein Feld und Cido begann sofort sich halbwegs mit seinen Lichtpfeilen zu verteidigen. Auch Shubi zog neben ihm sein Schwert, um die Meute zurückzudrängen, doch es schienen immer mehr zu werden. Und dort war er wieder: Dieser blonde Dämon, der wie der Teufel selbst unter Cidos Kameraden wütete. Ihre Blicke trafen sich für einen winzigen Moment und Cido spürte ein Kribbeln in seinem Körper, als würde dieser Dämon tief in seine Seele sehen und dort alles erkennen, was ihn ausmachte, doch dann brach der Kontakt auch wieder ab und hinterließ nur Verwirrung in Cidos Kopf. Wer war dieser Dämon? «Cido?! Pass auf!» Shubis Warnung kam zu spät. Im nächsten Moment spürte Cido noch einen gewaltigen Schlag auf den Hinterkopf, ehe alles um ihn herum schwarz wurde. Er hatte Recht. Sie hatten verloren. Er musste jetzt sterben. Ja, ganz bestimmt war es jetzt vorbei und Gott? Er hatte ihnen nicht geholfen. Warum? War er wütend auf sie? Cido verstand es nicht, aber jetzt war es eh egal, denn sie waren alle tot. Fühlte es sich so an zu sterben? Seltsam und unspektakulär. Na ja, besser als in die Hände dieser Dämonen zu fallen, oder? Ja, viel besser... Die Engel knieten gefesselt in einer Reihe vor der großen Kathedrale. Dämonen liefen an ihnen vorbei und suchten nach weiteren Überlebenden. Aktuell waren es gerade einmal zwölf Stück, die den Ansturm der Dämonen überstanden hatte. Xenio saß nur wenige Meter von ihnen entfernt und säuberte sein Schwert mit der Hilfe von einem Stück Stoff, den er einem Toten abgenommen hatte. Immer wieder musste er zu den Gefangenen sehen. Dort saß er, der braunhaarige Engel, den Xenio schon auf den Schlachtfeld gesehen hatte. Sein Blick war gesenkt und sein Körper eingesunken, doch auch wenn der Kampfeswille von eben nicht mehr zu sehen war, wurde die Faszination nicht weniger. Dieser zierliche Körper, der den Anschein erweckte, dass er zerbrach, wenn man ihn nur berührte, schrie nach dem Dämon, doch er hielt sich zurück. Niemand sollte merken, dass er Interesse an ihm hatte, denn das würde ihn nur für andere interessant machen. Xenio schluckte trocken und entfernte auch den letzten Rest Blut von seiner Klinge, bevor er sie wegsteckte und sich dann mit einem neuen Stück Stoff notdürftig säuberte, denn langsam begann der Lebenssaft zu trocknen und dadurch unangenehm an seiner Haut zu kleben. Dieser Sieg war eindeutig. Auch wenn es Verluste unter den Dämonen gegeben hatte, so konnte man diese angesichts der Anzahl von Engelsleichen getrost ignorieren. Ihr Überfall war ein voller Erfolg gewesen. «Gut gekämpft, Xenio. Wenn du willst, kannst du dir eine Trophäe aussuchen. Einen Gegenstand oder einen Engel. Du hast die erste Wahl, denn niemand hat so stark gekämpft wie du.» Die Dämonin lächelte ihn an und legte dann eine Hand auf seine Schulter, bevor Xenio nickte. «Danke. Ich werde mich gleich umsehen.» Er richtete sich langsam auf, da seine Wunden leicht schmerzten, doch die meisten hatten schon wieder aufgehört zu bluten, wodurch Xenio anfing sie zu ignorieren. Wichtig war jetzt, dass er seinen Preis bekam und das so schnell wie möglich. Nicht, dass jemand anderes ihm diesen Engel wegschnappte. Denn, auch wenn sie ihm das erste Wahlrecht zugesprochen hatte, hieß das noch lange nicht, dass sich alle daran hielten. Ruhig näherte er sich der Reihe Gefangener und ließ seinen Blick immer weiter wandern, doch nicht über die anderen Anwesenden, sondern einzig über den Körper des Braunhaarigen. Wie sich sein Oberkörper unter seiner Atmung bewegte und er leicht nach vorne gebeugt da saß um die Fesselung, die seine Arme hinter seinen Rücken hielt, erträglicher zu machen. Xenio spürte ein freudiges Kribbeln alleine bei dem Gedanken ihn zu berühren. Beiläufig berührte er die andere Gefangenen, um sein großes Interesse zu verstecken. Niemand sollte merken, dass dieser Engel von unschätzbaren Wert für ihn war. Er durfte keine Schwäche zeigen, denn Schwäche bedeutete bei den Dämon den Tod und es gab viele Neider, die Xenio gerne fallen sehen würden. Schließlich legte er seine Hand auf das seidige Haar von dem Engel seiner Träume. Dieser zuckte kurz zusammen und Xenio ertastete eine Beule am Hinterkopf. Scheinbar war er niedergeschlagen worden. Gott sei Dank. Sonst würde er wahrscheinlich nicht hier sitzen, sondern zu den Leichen gehören. Seine Hand glitt über das Haar nach unten zur Wange, wo er die Strähne nach hinten schob und nach dessen Kiefer griff, um den Kopf bestimmt anzuheben. Ihre Blicke trafen sich und Xenio tauchte ein in einen friedlichen Wald, der so viel in sich lockte, aber nichts mehr hergab, doch jetzt war dort nur Verwirrung zu sehen und ganz tief hinten sogar ein kleines bisschen Angst. Er spürte, wie der Engel zu zittern begann und strich ihm kurz mit seinem Daumen beruhigend über die Wange, während er sich nicht von dessen Gesicht lösen konnte. So perfekt. So wunderschön. Diese zarten Konturen und diese großen Augen, in denen die Angst immer mehr die Oberhand gewann. Xenio konnte nicht verhindern, dass er kurz mit seinem Daumen sanft über die Lippen seiner Kriegsbeute strich und sich dabei über die eigenen schleckte. Wie dieser Engel wohl schmeckte? Er wollte ihn so sehr. In diesen einen Moment schrie alles in ihm danach ihn zu besitzen. Er konnte den Impuls nicht unterdrücken ihn mit einer kraftvollen Bewegung auf die Füße zu reißen, wodurch ein kurzer Schmerzenslaut über die Lippen des Gefesselten kam und kurz Bedauern im Herzen des Dämons erwachte. Sie waren sich plötzlich so nah. Ihre Nasenspitzen berührten einander fast und die Augen von Cido huschten ängstlich zwischen Xenios hin und her, während dieser sich von dem Duft des Engels trunken machen ließ. Er spürte, wie sich alles in ihm nach diesem Engel verzerrte. Langsam näherte er sich dessen Lippen, doch er stoppte kurz bevor sie sich berührten und genoss den warmen Atem auf seiner Haut. Es fühlte sich so perfekt an, wobei er dafür das leichte Zittern des Engels ignorieren musste. Nur noch eine Sekunde. Eine winzige Sekunde länger. Er wollte diese Nähe genießen und plötzlich war es ihm egal, was die anderen Dämonen von ihm denken würden. Das Einzige, was zählte, war der Engel in seinen Armen. «Wie heißt du?» Xenios Stimme war rau und er sah wieder in diese grünen Augen, deren Besitzer immer noch gänzlich mit der Situation überfordert war. Cido versuchte das Beben seines Körpers zu unterdrücken und auch die Angst zu verbergen. Xenio fand den Kampf, den er dabei gerade ausfocht sehr amüsant, doch auch diesen verlor der Engel. «Cido. Cido Hiwatari.» Er musste sich kurz räuspern, um seine Stimme zu festigen, was Xenio erneut leicht lächeln ließ, bevor er dem Engel, dann schon fast sanft über die Wange strich und ein wenig auf Abstand ging. «Okay, Cido. Ich bin Xenio. Von heute an gehörst du mir. Mir ganz alleine. Du bist meine Kriegsbeute.» Xenio wandte sich zu der Dämonin, die ihn vorhin schon angesprochen hatte und deutete dann auf Cido. «Ich nehme den hier! Mit dem Rest könnt ihr tun, was ihr wollt.» Er griff nach Cidos Arm und zog ihn dann zu sich. Erneut trafen sich ihre Blicke. So unendlich weit und so wunderschön weich. Sie konnten bestimmt voller Liebe sein, wenn er dieses Gefühl in dem Engel erwecken konnte. Wie wunderschön sie dann wohl funkeln würden? Er konnte sich nur schwer lösen, doch dann fasste er Cido stärker am Arm und verließ mit ihm zusammen das Schlachtfeld. In diesem Moment wollte er so schnell es ging mit dem Engel verschwinden. Nicht dass doch noch ein Dämon mitbekam, wie wertvoll Cido für ihn war. Er hatte zwar bis jetzt überlebt, aber solange sie hier waren, würde er in Gefahr sein. Xenio musste ihn zu sich nach Hause bringen. Dort würde er sicher sein. Sicher vor all den Neidern und Wahnsinnigen. Auch wenn Xenio ebenfalls ein Dämon war, so mochte er seine Artgenossen nur bedingt. Sie waren alle wahnsinnig und unberechenbar und voller Neid. Erkannten sie Schwächen, nutzten sie diese aus. Und ein wertvolles Wesen war in den Augen der Höllenbewohner eine perfekte Schwachstelle. Bekamen es die falschen mit, sähen sie sich womöglich bald einer Schar von Dämonen gegenüber, die ihren Kampfkameraden nur zu gerne im Himmelsreich zurücklassen würden. Das ungleiche Paar war daher hier nur bedingt sicher. Weder Cido noch er und so kamen sie am Ende des Himmelsreich an, wo Xenio den Engel an sich zog. Cido sah ihn ängstlich an, was Xenio lächeln ließ. Er ließ sich dazu hinreißen ihn einen Kuss auf die Stirn zu geben, bevor er ihn noch fester an sich drückte. «Jetzt geht es abwärts. Ich halt dich fest und werde dich beschützen. Du kannst mir vertrauen. Glaub mir, mein Engel. Dir wird kein Leid geschehen. Nicht solange ich hier bin, denn ich werde es niemals zulassen. Verstehst du? Niemals...» Wieso war er ausgesucht worden? Was sollte dieses merkwürdige Verhalten des Dämons? Warum hatte er ihn nur in dieses Haus gebracht und ihn dann auf die Couch gesetzt? Danach kam nichts mehr. Was hatte das für einen Sinn? Es war doch dieser Schwertkämpfer, der sich mit so viel Geschick aber auch Gnadenlosigkeit durch die Reihen der Engel geschlagen hatte, oder nicht? Cido war sich sicher, dass er sich nicht täuschte. Dieser Xenio war der Dämon, den er auf dem Schlachtfeld gesehen hatte. Aber... Er berührte seine Stirn, dort wo die Lippen von Xenio ihm einen Kuss geschenkt hatten. Diese Zärtlichkeit konnte nicht wahr gewesen sein. Es war nicht möglich, dass diese Sanftheit in diesem Krieger steckte. Das musste ein Irrtum sein. Aber auch jetzt saß er nur in einem Sessel und sah ihn an. Seit sie hier angekommen waren, hatte er noch kein Wort ge­sprochen und langsam machte sein Blick Cido nervös, wodurch dieser anfing unruhig hin und her zu rutschen. «Warum?», krächzte Cido und hoffte, dass er dieses Mal eine Antwort bekam, die er verstehen konnte, doch auch jetzt richtete sich Xenio nur auf, um dann zu ihm zu kommen. Seine Hand fuhr über Cidos Haar hinunter zu seiner Wange, wo er dieses dann hinter das Ohr strich und somit seine ganze Backe freilegte. Sie sahen sich in die Augen und Cido versuchte irgendetwas in diesem Meer aus Eis zu erkennen. Etwas anderes als dieses Gefühl, das er dem Dämonen nicht zugestehen wollte. Erneut küsste ihn Xenio auf die Stirn und nahm dann Abstand, um sich neben ihn auf die Couch zu setzen. Er begann mit einer Strähne von Cidos Haar zu spielen und der Engel wusste nicht, was er davon halten sollte. Alles in ihm schrie danach, dass er Xenio auf Abstand hielt. Es ging nicht, dass ein Dämon ihn so berührte. In einem Anflug von falschen Stolz entriss Cido Xenio die Strähne und funkelte ihn zornig an. «Warum? Was soll das Theater? Wieso hast du mich hierher gebracht? Was willst du von mir?» Er rutschte so weit es ging von Xenio weg und sah ihn immer noch wütend an. Der Dämon sollte ihm endlich Antworten geben. Er hatte es satt, dass Xenio ihn anschwieg und immer nur berührte. Vor allem so zärtlich, als könnte er jeden Moment zerbrechen. Erneut streckte Xenio seine Hand nach ihm aus, doch dieses Mal schlug Cido sie weg und knurrte ihn an. Er wollte nicht von ihm berührt und befleckt werden. Seine Reinheit war alles, was ihm noch geblieben war. Er wusste ja nicht einmal, was mit Shubi passiert war und war der Gunst dieses Dämons ausgesetzt. Zum Kotzen! «Antworte mir, dreckiger Dämon!» Er sah, wie diese Worte Xenio verletzten, denn die Zuneigung in seinen Augen wich kurz dem Schmerz, bevor sie sich bedrohlich verschlossen und man schon fast Zorn in der Tiefe des Eismeeres erkannte, als sie sich wieder öffneten. Xenio stand auf und positionierte sich direkt vor Cido. Er überragte ihn jetzt noch deutlicher, als wenn sie beide gestanden hätten, und Cido spürte kurz Angst in seinem Herzen, bevor sein Engelsstolz wieder zu schlug und er demonstrativ die Brust herausstreckte. «Bist du so dumm oder tust du nur so, Engel?», spie ihn Xenio an und es war das erste Mal, dass er überhaupt etwas sagte, seitdem sie hier angekommen waren. «Ich hab dich gesehen! Auf dem Schlachtfeld! Du warst voller Blut und hast gnadenlos getötet! Wo ist diese Brutalität jetzt?» «Willst du, dass ich brutal werde?!» Xenio packte Cido an den Handgelenken und drückte ihn in die Kissen der Couch, bevor er gänzlich über ihn kam. Cido versuchte etwas in diesen blauen Augen zu erkennen, das nicht von impulsiver Wut sprach, doch dort war nichts anderes. Plötzlich presste Xenio seine Lippen hart auf Cidos. Dieser wusste zunächst nicht, wie es um ihn geschah und brauchte erst ein paar Herzschläge, bevor er dann versuchte Xenio von sich zu drücken, doch der Dämon ließ nicht sofort von ihm ab. Erst als er in die Lippe des Engels biss und einen Tropfen Blut von ihm klaute, nahm er wieder Abstand und sah schwer atmend auf ihn nieder. «Ist es dir so lieber?» Xenio wartete auf eine Antwort und Cido versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. Nein, das war ihm nicht lieber, aber er wollte diese Nähe generell nicht. Xenio musste doch auch einen Mittelweg kennen, oder? Schließlich rang er sich zu einem Kopfschütteln durch. «Ich...» Cido konnte nichts sagen, weil sich plötzlich ein eisiger Kloß in seiner Kehle bildete und sein Körper zu zittern begann. Nein, das konnte er nicht brauchen. Diesen kalten Schweiß und das unnachgiebige Band um seine Brust. Wieso passierte das jetzt? Sein Atem beschleunigte sich und er spürte, wie das Zittern sich in ein Beben wandelte. Das konnte nicht wahr sein. Er musste es stoppen. Wodurch er versuchte seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen, doch es gelang ihm nicht. Sein Herz begann zu rasen und er hatte das Gefühl, als drohte er zu fallen. «Cido?» Xenios Stimme war voller Sorge und dann war dort wieder diese Hand, die Cido jedoch sofort wegschlug. «Fass mich nicht an! Bitte, fass' mich nicht an!» Sie verschwand, aber die Panik in Cidos Herzen blieb. Er musste sich beruhigen. Das lag schon so weit in seiner Vergangenheit. Er durfte sich davon nicht mehr beeinflussen lassen. Es schien eine halbe Ewigkeit zu vergehen, bevor Cido wieder normal atmen konnte und sich langsam entspannte. Er hasste es, wenn das passierte, aber er konnte es nicht verhindern. Nur Stück für Stück nahm er seine Umgebung wieder wahr und blickte schließlich in das entsetzte Gesicht von Xenio. Dort war kein Zorn oder Schmerz mehr, sondern nur pure Angst um eine geliebte Person und Cido merkte, wie ihm kurz warm ums Herz wurde, doch dann erstickte er dieses Gefühl sofort wieder. Er durfte das nicht denken oder fühlen. Vor ihm stand ein Dämon. Niemals durfte er Zuneigung für ihn entwickeln. Niemals! «Was? Was ist passiert? Geht's wieder?» Xenio näherte sich vorsichtig und Cido merkte, dass der Dämon ihn berühren wollte, doch er hielt sich zurück, was Cido leicht lächeln ließ und dann nicken. «Ja, es ist alles wieder in Ordnung.» Kurz erwachte in ihm das Verlangen sich zu entschuldigen, doch er erstickte es sofort wieder. Das vor ihm war immer noch ein Dämon und diese Kreaturen hatten es nicht verdient, dass man sich bei ihnen entschuldigte. Schließlich hatte Xenio mehr als genug Engel auf den Gewissen, sodass sich Cido keiner Schuld bewusst sein sollte. Er hatte es verdient ein wenig zu leiden, oder? Xenio seufzte erleichtert und lächelte Cido dann wieder an, bevor er ihn erneut berühren wollte, doch der Braunhaarige schlug seine Hand weg. «Pfoten weg! Deine Berührungen nerven! Ich bin kein Blindenbuch!» Bei diesem Vergleich musste Xenio lachen, was Cido verwirrte, doch dann nahm der Dämon schließlich Abstand. Er setzte sich nicht in den Sessel, sondern drehte sich nach ein paar Schritten wieder zu Cido um. «Hast du Hunger? Ich würde was zum Essen machen. Irgendwelche Wünsche oder Unver­träglichkeiten?» Diese Frage brachte Cido gänzlich aus dem Konzept und er brauchte erst ein paar Herzschläge, um deren Bedeutung zu verstehen, bevor er dann auch fähig war eine Antwort zu bilden: «Ähm... ja, etwas Essbares wäre nicht schlecht und ähm... nein, keine Wünsche oder Unverträglichkeiten.» «Gut, ich bin gleich wieder da. Fühl dich ruhig wie zuhause.» Mit diesen Worten verschwand Xenio gänzlich aus dem Raum und obwohl Cido die Erlaubnis hatte, sich frei zu bewegen, so hatte er irgendwie Angst davor, aber er spürte auch einen drängenden Harndrang und somit entschloss er sich zumindest auf die Suche nach der Toilette zu gehen. Es musste ja irgendwo eine geben, oder nicht? Es führte nur eine Tür aus dem Wohnzimmer und Cido wusste noch von seiner Ankunft, dass dahinter ein breitgefächerter Flur war und irgendeine dieser Türen musste ja hoffentlich zu dem Zimmer seiner Begierde führen, wodurch Cido noch einmal tief Luft holte, um dann aufzustehen und die Wanderung zu starten. Irgendwie fühlte es sich falsch an. So unsagbar falsch, als er durch diese Tür schritt und kurz sein Blick auf der Haustür liegen blieb. Es wäre so einfach, jetzt abzuhauen. Aber was dann? Wohin sollte er gehen? Seine Heimat existierte nicht mehr und er war hier in der Hölle. Wahrscheinlich würde er nicht einmal die Nacht überleben. So ohne seinem Zepter oder irgendeiner anderen Waffe. Darum löste er sich schweren Herzens von dem Ausgang und sah dann zu den anderen Türen. Es waren mit dem Wohnzimmer und dem Eingang insgesamt sieben Räume, die von dem Flur abzweigten. Aus einem konnte er das geschäftige Tun von Xenio hören, wodurch er vermutete, dass dort die Küche war und somit für ihn uninteressant. Der Flur zog sich in die Länge und war nur wenig eingerichtet, während seine Farben wie auch schon im Wohnzimmer eher dunkel und drückend waren. Cido konnte sich hier nicht wohl fühlen. Das schwere Rot gemischt mit Schwarz und dunklen Brauntönen. Es war einfach nicht seine Welt, aber sie schien es ab jetzt zu sein. Er spürte wie sein Herz schwerer wurde, doch im nächsten Moment erinnerte ihn seine Blase wieder an seinen eigentlichen Plan, wodurch er sich vom Türrahmen trennte und dann eine Tür nach der anderen öffnete. Dabei fand er ein Schlafzimmer, eine Bibliothek, einen Trainingsraum und natürlich erst zum Schluss die Toilette. Doch keines der Zimmer war anders gestaltet. Xenio schien diese Farben zu mögen, aber Cido waren sie zu dunkel. Das war wohl der Unterschied zwischen Dämonen und Engel. Mit einem Seufzer schloss er wieder die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer. Dabei fiel sein Blick noch einmal auf die Schlafzimmertür. Dort war nur ein großes Bett drinnen. Nur ein Einziges. Würde das bedeuten? Nein, Cido wollte diesen Gedanken nicht weiter spinnen. Es würde zu einem Ergebnis führen, das er nicht wahrhaben wollte. Er konnte sich heute Abend noch damit beschäftigen. Jetzt bekam er eher langsam Hunger, als er auch schon den Ruf von Xenio hörte: «Essen ist fertig. Komm in die Küche.» In diesem Moment tat Cido nichts lieber als das, wodurch er sofort der Stimme folgte und sich darauf freute endlich wieder etwas zwischen die Zähne zu bekommen und dann. Ja, dann würde man weitersehen. Mit vollen Magen sah die Welt nämlich meistens schon viel besser aus. Schließlich war er noch am Leben und hatte somit die Chance auf eine Verbesserung. Er wusste zwar noch nicht, wie diese aussah, aber das würde sich schon noch zeigen. Eines wusste Cido jedoch ganz sicher. Er würde niemals mit Xenio das Bett teilen. Niemals...
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