Kapitel 7: Der Ruf des Blutes

967 Words
Freya Der Wald verdichtet sich, während sie vorankommen. Die Bäume stehen enger beieinander, ihre Äste sind verdreht wie knorrige Finger, die zum blassen Himmel zeigen. Ein schwerer Nebel haftet am Boden, steigt in dicken Wellen auf und macht jeden Schritt unsicherer. Die Luft selbst scheint geladen mit uralter Elektrizität, mit Erinnerungen, die in der Rinde festgefroren sind. Freya spürt einen kalten Schweiß, der ihren Nacken hinunterläuft. Die Feuchtigkeit klebt ihr die Strähnen an die Schläfen. Sie beißt die Zähne zusammen, widersteht dem Instinkt, der ihr ins Ohr flüstert, sie solle zurückweichen. Ihre Finger streichen über den Griff ihrer Klinge, als wollte sie sich vergewissern, dass sie noch da ist, real. Neben ihr verstärkt Jason seinen Griff um den Knauf seines Dolches. Seine Augen scannen die Schatten, angespannt, scharf, und kalkulieren jede Ecke, jede Stille. Jason – Diese Ecke stinkt nach Falle, murmelt er. Freya – Deshalb nähern wir uns, entgegnet sie. Ihr Austausch ist kurz, scharf, wie zwei Klingen, die im Dunkeln aufeinandertreffen. Die folgende Stille ist schwer, bedrohlich. Nicht einmal ein Tierlaut, kein Rascheln der Blätter. Als würde der Wald den Atem anhalten. Sie schreiten voran, Schritt für Schritt. Der Boden ist weich, voll Wasser und Schatten. Manchmal taucht eine Wurzel auf, bedrohlich, bereit, sie zum Sturz zu bringen. Die Stämme stehen enger zusammen, als wollte der Wald sie gefangen halten. Plötzlich durchbricht ein trübes Licht den Nebel. Zuerst schwach. Zitternd. Dann ein weiteres. Eine Fackel. Dann zwei. Dann drei. Und im Herzen dieses blassen Lichts steht eine Silhouette. Freya Ihr Herz schlägt schneller. Es ist kein einfacher Wächter. Es ist eine Einladung. Die Silhouette steht vor einem vom Zahn der Zeit zerfressenen Gebäude. Einer Kapelle. Alt. Vergessen. Von Schimmel zerfressen, vom Efeu erstickt, ihre Steine schwitzen Feuchtigkeit und Verlassenheit aus. Ein Überbleibsel, das die Natur längst hätte verschlingen müssen, aber etwas – oder jemand – hält es aufrecht. Jason – Eine Kapelle? Glaubst du, das ist ein Zufall? Freya – Nein. Es ist eine Provokation. Sie spürt es in ihrem Fleisch. In ihren Knochen. Der Schatten von Alistair ist da, irgendwo, verborgen, unsichtbar, aber präsent. Er streift sie wie ein kalter Atem auf nackter Haut. Sie nähern sich. Langsam. Jeder Knacks unter ihren Füßen ist eine Beleidigung. Die Luft wird dichter, durchdrungen von einem metallischen Geruch. Ein Duft von Erde, Stein und altem Blut. Die Tür der Kapelle öffnet sich von selbst. Ein langes Quietschen zerschneidet die Luft, wie ein Schrei. Im Inneren pulsiert die Dunkelheit. Eine Stimme erhebt sich. Klar. Kalt. Scharf. – Ihr habt den richtigen Ort gefunden. Aber was ihr sucht, wird euch mehr kosten als nur ein paar Fragen. Ein Mann taucht aus dem Schatten auf. Ein Vampir. Groß, in einen dunklen Mantel gehüllt, das Haar nach hinten gekämmt, die Züge in Stein gemeißelt. Er fixiert Freya und Jason mit einer eisigen Ruhe. Drei weitere Gestalten erscheinen hinter ihm. Vampire. Ihre Augen glühen wie Glut. Freya – Wir sind nicht hier, um zu kämpfen. Der Vampir – Dann habt ihr euren Weg schlecht gewählt. Ihr seid auf dem Territorium von Alistair. Und hier ist jeder Schritt eine Kriegserklärung. Jason Er tritt dazwischen. Seine Stimme ist tief, noch bedrohlicher. – Und wenn wir gekommen sind, um den Krieg zu beenden? Der Vampir bricht in schallendes Lachen aus. Ein hohles, spöttisches Geräusch, ohne Wärme. – Es gibt kein Ende. Nicht solange es Blut zu vergießen gibt. Und plötzlich explodiert alles. Freya Der erste springt. Jason rollt, weicht aus, schlägt zu. Die Klinge schneidet, aber der Vampir kommt zurück, schneller, brutaler. Die Schläge prasseln nieder. Ein Kampf am Boden, schmutzig und brutal. Sie, sie stellt sich zwei. Sie umzingeln sie. Sie schlägt zu. Weicht aus. Sie dreht sich, ihre Klinge beißt ins Fleisch. Ein krächzender Schrei. Einer von ihnen packt sie am Haar, zieht. Der Schmerz ist heftig. Sie dreht sich, schneidet. Das schwarze Blut spritzt ihr ins Gesicht, brennend. – Sie sind stärker als die, die ich bekämpft habe, denkt sie. Alistair hat sie gewählt. Es ist eine Botschaft. Jason Er wird gegen eine Wand geschleudert. Der Vampir stürzt sich auf ihn. Jason blockt, kämpft, zieht einen Pfahl und schlägt direkt ins Herz. Der Schrei ist lang, zerreißend. Der Körper erstarrt. Dann zerfällt er in einen Hauch von Asche. Freya Sie schreit. Sie vollendet den letzten mit all der Wut, die sie in sich trägt. Als alles stillsteht, taumelt sie, keuchend, bedeckt mit Ruß und Blut. Die Kapelle ist nicht mehr als ein Trümmerfeld. Aber der Mann – der erste Vampir – hat sich nicht bewegt. Er beobachtet sie noch immer. Ein seltsamer Glanz in seinen Augen. Keine Angst. Kein Hass. Nur eine ruhige Traurigkeit. – Beeindruckend. Aber nutzlos. Ihr werdet ihn nicht aufhalten. Freya – Alistair. Wo ist er? spitzt sie heraus. – Glaubt ihr wirklich, ich werde es euch sagen? Er ist älter als dieser Wald. Älter als diese Kapelle. Er sieht euch bereits. Er erwartet euch. Jason Er tritt vor. Die Fäuste zittern. Der Atem kurz. – Dann sag ihm, dass wir kommen. Und dass wir beim nächsten Mal keine Worte haben werden. Der Vampir neigt leicht den Kopf, ohne ein Wort. Dann verschwindet er. Vom Schatten verschlungen, als wäre er nie da gewesen. Freya taumelt. Jason fängt sie auf. Sie bluten. Ihre Muskeln brennen. Aber sie stehen. Freya – Wir kommen näher. Ich spüre es. Er beginnt Angst zu haben. Jason – Das sollte er. Denn wir werden nicht mehr zurückweichen. Ein kalter Wind weht durch die Ruinen. Er schlängelt sich zwischen den Steinen hindurch, dringt in die Knochen ein. Und im Echo erhebt sich eine Stimme. Süß. Alt. Durchtränkt von Durst und Versprechungen. – Kommt her, Jäger. Das Blut ist nur ein Vorspiel. Der wahre Krieg beginnt gerade erst. Freya Sie schließt die Augen. Es ist er. Alistair. Er ruft sie. Er provoziert sie. Und sie wird antworten.
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