4. Kapitel

2234 Words
Ich bemerkte, wie jemand vor meinen Augen herumfuchtelte, jemand anderes, der mir immer wieder nervtötend in die Schulter piekte und eine dritte Person, die mir versuchte mein Mittagessen in die Nase zu stopfen.  Ich schlug Dylans Hand mit der kleinen Karotte weg und funkelte ihn an. „Sag mal, spinnst du?! Was sollte das denn werden, wenn es fertig geworden wäre?" Mason, der sich über den Tisch gelehnt hatte, um vor meinen Augen herumzufuchteln, liess sich mit einem belustigten Grinsen in seinen Stuhl zurückfallen.  „Das hätte eine Nati-mit-Karotten-in-der-Nase-Skulptur gegeben, mit der ich bestimmt viele Preise gewonnen hätte", prahlte mein bescheuerter Bruder.  „Da siehst dus!", rief Roxie aus, die sichs auf Logans Schoss gemütlich gemacht hatte. „Er hat nicht nur zu viel Zeit im Kindergarten verbracht, sondern besitzt auch noch ein ausgebrägtes Wunschdenken! Jeder Mensch weiss doch, dass Karotten-in-der-Nase-Skulpturen total out sind! Dafür müsstest du schon Spargel nehemen." Logan verdrehte nach dieser Aussage die Augen, was ich ihm nicht übelnehmen konnte, und sah mich hilflos an. Mir war selbst ein Rätsel, wie wir unsere Freundin jemals dazu brachten eine Spur... Wie sollte ich es ausdrücken? ...normaler zu werden. Einerseits wusste ich ja, dass das mein Freundeskreis war und dass wohl nie jemand besonders normal sein wird. Andererseits bedachte ich, wenn Roxie und der ganze Rest normal wäre, so würden sich auch alle blendend verstehen... Leider verstand ich nicht, weshalb Roxie und Dylan sich nicht ausstehen konnten. Die beiden waren ähnlich verrückt und immerhin wussten wenigstens sie, worum es in ihrem Gespräch ging. Denn von uns anderen wusste es definitiv niemand.  „Du hast doch keine Ahnung, du Langweiler! Spargel? Wo lebst du?! Hinterm Mond?" Dylan beugte sich nach vorne, um seine Ellenbogen auf der Tischkante abzustützen. Natürlich ergriff ich sofort meine Chance, krallte mir meinen Spinat vom Teller und platschte ihn mitten ins Dylans Gesicht. Spinat mochte ich sowieso noch nie besonders.  Das zum Thema 'Normaler Freundeskreis'.  Nachdem Dylan ein erschrockenes Glucksen von sich gegeben hatte, meinte ich achselzuckend:„Wieso denn nur die Nase benutzen, wenn man auch das ganze Gesicht in das Kunstwerk packen kann?" Meine banale Aussage und das bescheuerte Gesicht meines Bruders liessen alle Dämme brechen und unser gesamte Tisch brach in schallendes Gelächter aus. Selbstverständlich erhaschten wir so die Aufmerksamtkeit der anderen Tische, was keine Menschenseele hier juckte.  Nachdem jedoch Dylan aufgestanden war, um sich den Spinat abzuwaschen, kehrte auch die Ruhe zurück und der Vorfall war schon wieder vergessen, was ich eigentlich richtig traurig fand. Wieso vergassen wir solche Momente so schnell wieder, während viel schlimmere Augenblicke tief in unser Gehirn eingeschraubt waren? *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Wir hatten gerade unseren ersten Schultag hinter uns und ich konnte schwören, dass heute so viel getuschelt worden war, wie in einem halben Jahr! Ich seufzte. Was hatte ich auch anderes erwartet? Eigentlich hatte ich mich bereits darauf gefreut nach Hause zu gehen und auf unserem Dach Gitarre zu spielen. So wie ich es eben gerne mochte, wenn ich nicht viele Hausaufgaben auf hatte, aber der Tag dennoch irgendwie stressig war. Denn das konnte ich wahrhaftig behaupten. Aber nein! Mein fabelhafter Freund hetzte mich bereits wieder durch die Gegend! Er wollte mir unbedingt jemanden vorstellen und gleich darauf etwas trinken gehen. Klar konnte ich nicht dauernd meinen eigenen Plänen folgen, aber konnte ich mich jetzt nicht einfach verkriechen? Ich hatte heute bereits genug Bekanntschaften geschlossen. Nicht zu vergessen mit dem Blödmann von heute morgen. Wie hiess der noch gleich? Owen? Oscar? Oberto? Ich hatte keine Ahnung mehr.  „Mensch Ethan! Nicht so schnell bitte. Meine Tasche ist schwer und ich habe müde Beine!", quengelte ich und kam mir dabei schon etwas blöd vor. Ethan nahm mir die Tasche ab. „Wovon hast du denn müde Beine?", fragte er amüsiert. „Wir haben heute mehr gesessen, als dass wir gelaufen sind." „Na gut. Müde Beine habe ich nicht", gab ich mich geschlagen, da ich doch einen gewissen Stolz hatte, den ich nicht damit zu Nichte machen wollte, indem ich indirket behauptete, dass ich unsportlich war. Ich ging fast jeden Tag mindestens 20 Minuten laufen und war entweder in unserem Tanzraum oder im kleinen Fitnessraum, der einen wundervollen Blick aufs Meer freigab. Ich war also alles, aber ganz bestimmt nicht UNsportlich.  Ethan konnte sich natürlich kein Lachen verkneifen und schleifte mich weiter in Richtung Ausgang.  Dies war auch wieder so ein Moment, in dem ich mich glücklich schätzte, dass ich kein besonders grosser Fan von High Heels war. Als er endlich zum Stehen kam, hob ich endlich den Kopf (ich hatte dir ganze Zeit auf den Boden geschaut, um erstens; nicht hinzufallen und zweitens; den Blicken unserer Mitschüler etwas ausweichen zu können). Beides hatte fabelhaft funktioniert, und dafür klopfte ich mir innerlich anerkennend auf die Schulter.  Als ich die Person vor Ethan entdeckte, verdrehte ich die Augen. „Was willst du denn schon wieder?", fauchte ich den blonden Typen vor mir an. Dieser zwinkerte mit wortlos schelmisch zu. Ethan blickte verwirrt zwischen uns hin und her. „Ihr kennt euch?", fragte er.  „Wir sind uns heute Morgen schon einmal begegnet. Du hast eine wirklich... faszinierende Kleine, Alter", antwortete Owen. Oder hiess er Oscar? „Kleine?! Also das muss ich mir nicht bieten lassen!" Und an Ethan gewandt meinte ich:„Du wolltest mir doch jemanden vorstellen, oder nicht?" Ethan sah mich wieder irritiert an. „Ja. Ich wollte dir meinen Cousin Oliver vorstellen!" Dann schlug er Blondie kumpelhaft auf den Rücken.  Das war der Moment, in dem mein Unterkiefer ein Stockwerk tiefer fiel. „Was?!" Oliver grinste mich dreckig an. „Da kennst du unseren Ethan wohl nicht so gut...", tadelte er mich und Ethan lachte. Ich fand das jedoch alles andere als lustig.  Da ich wusste, dass es Ethan auf dem Gebiet 'Familie' ziemlich schwer hatte, riss ich mich zusammen und zwang mich zu einem netten Lächeln. Ich vermutete stark, dass mir dies schrecklich Misslang. Aber wie hiess es doch so schon? Der gute Wille zählte! „Das ist ja interessant. Ihr seht euch nicht wirklich ähnlich", stellte ich fest (auch um indirekt zu entschuldigen, dass ich nichts von einem Cousin gewusst hatte) und legte den Kopf interessiert schief.  Ethan stellte sich wieder neben mich und nahm meine Hand. „Er ist mein Cousin mütterlicherseits. Ich und Rylie haben das Meiste unseres Aussehens von unserem Vater geerbt. Moms Gene konnten sich leider nicht besonders durchsetzen", erklärte er mir und ich war überrascht, dass er so offen, ja fast heiter, von seiner verstorben Mutter erzählte. Ich konnte mich noch zu gut daran erinnern, wie wir in Ethans geheimer Bucht sassen und er mir die Geschichte von ihrem Autounfall erzählte. Damals kamen die Worte gepresst und erzwungen über seine Lippen, doch nun schien er besser damit klarzukommen. Ob dies an der Anwesenheit seines Cousins lag? Wenn ja, tat ich ihm möglicherweise nicht so gut, wie ich immer vermutet hatte. Ich musste mich wohl damit abfinden, dass ich nicht die Person war, die Ethan helfen konnte, über den Tod seiner Mutter hinwegzusehen. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* „Sorry, aber wir haben bereits heute unser erstes Footballtraining und da sollte ich als Teamkapitän nicht fehlen", entschuldigte Ethan sich, nachdem wir fast eine Stunde zusammen mit Oliver in einem Lokal in der Nähe der High School verbracht hatten.  „Seit wann denn so verantwortungsbewusst?", neckte ich ihn und klaute den Keks, den er zu seinem Kaffee bekommen hatten. Meiner war aus mysteriösen Gründen bereits vor meinem Kaffee verschwunden.  Ethan verdrehte bloss die Augen und nahm sich die zweite Hälfe meines geklauten Kekses. „Hey!", lachte ich.  „Nati und ich könnten ja mitkommen und beim Training zusehen. Das", und an mich gewandt meinte Oliver,„wollte ich sowieso machen und dann wäre ich nicht so alleine, wenn du mir Gesellschaft leisten würdest. Ist es nicht so, dass du noch drei Brüder hast, die ebenfalls im Team sind?" Ich hatte gerade ziemlich wenig l**t zweieinhalb Stunden schwitzenden Jungs zuzusehen und dabei auch noch Ethans Cousin am Hals zu haben. Nicht dass er vollkommen daneben war. Er schien sogar schwer in Ordnung zu sein, doch warf er mir zu oft Blicke zu, die ich bei Weitem nicht deuten konnte.  „Vier. Ich habe vier Brüder, die Football spielen und Logan, mein bester Freund ebenfalls", korrigierte ich, ohne auf den Teil mit dem Begleiten einzugehen. Leider war es deshalb nicht vom Tisch.  „Dann kommst du jetzt mit?", hackte Oliver eine Spur zu aufdringlich nach. Anscheinend war nur mir sein seltsamer Unterton aufgefallen, denn Ethan verzog keine Miene.  „Ich weiss nicht..." Nun meldet sich mein Freund doch zu Wort, und ich konnte nicht glauben, dass er sich tatsächlich auf die Seite des Feindes schlug. „Ach komm schon, Nats! Wir haben gerade mal unseren ersten Schultag hinter uns. Wir haben weder Hausaufgaben noch Stoff zu lernen. Sport hast du gestern auch schon genug für die ganze Woche gemacht. Was spricht da noch dagegen?" 'Dein Cousin, der mir so gar nicht geheuer ist' „Na gut. Ich gebe mich geschlagen." Seufzend hob ich die Arme zur Kapitualtion und zwang mich kurz darauf zu einem strahlenden Lächeln, schliesslich wollte ich Ethan ja auch einen Gefallen tun. Zusammen machten wir uns mit Ethans Auto auf den Weg zurück zur High School. Oliver sass die ganze Fahrt direkt hinter mir und hatte sich nach vorne gebeugt, damit er einfacher mit uns sprechen konnte. Das widerum ging mir ziemlich gegen den Strich. Sein Atem verursachte einen sehr unangehnehmen Schauer auf meiner Haut, sodass ich mich so nah wie möglich gegen die Beifahrerseite lehnte. Ethan schien meine plötzlich abweisende Haltung zu bemerken, denn er legte seine freie Hand auf meinen Oberschenkel und sah mich fragend an, als ich meinen Kopf zu ihm drehte. Ich zuckte bloss mit den Schultern und sah wieder nach vorne, worauf Ethan seine Hand wegzog. Zuerst dachte ich, er bräuchte sie zum Schalten, doch nun hatte er beide Hände am Steuerrad und sah mit einem verletzten Gesichtsausdruck nach vorne.  'Ganz toll, Natalia! Das hast du wieder einmal grandios hingekriegt! Jetzt denkt Ethan, dass ich IHN abweise, obwohl ich doch OLIVER nicht mag...' Möglicherweise war dies für ihn genauso verletzend, da er doch sein Cousin war. An der Schule angekommen liess Ethan uns allein und verschwand in die Umkleide. Natürlich gefiel mir das überhaupt nicht, zumal ich nun mit Oliver alleine war und ich das Missverständnis von vorhin nicht klären konnte.  Da ich keine l**t hatte, dass wir uns einfach nur anschwiegen, lief ich los über den Platz.  „Wo willst du denn hin?", rief Oliver mir hinter her und ich meinte, ohne zurückzusehen:„Na auf die Tribüne. Wohin denn sonst?" Oliver holte schnell zu mir auf und wir gingen schweigen über den Platz. Die Cheerleader waren mir auch nicht entgangen, die immerwieder in unsere Richtung sahen und wild tuschelten oder gar diskutierten.  Ich konnte meinen Augen beinahe nicht trauen, als eine grosse Blondine in Bauchfreiem Top und in einer kurzen Hose, die bei mir als eine Unterhose durchgegangen wäre, auf uns zu joggte.  „Dich habe ich hier ja noch nie gesehen. Da ich so einen attraktiven Mann bestimmt bemerkt hätte, musst du neu sein", säuselte Tessa direkt an Oliver gewandt. Mir würdigte sie keines Blickes, als wäre ich für sie unsichtbar. Auch gut.  „Ja, das stimmt. Ich bin Oliver", antwortete er und starrte viel zu offensichtlich auf Tessas Oberweite. Zu seiner Verteidigung musste hier aber noch erwähnt werden, dass ihre Oberweite scheinbar aus ihrem Top zu quellen schien. Na gut. Das hatte überhaupt nichts mit einer Verteidigung am Hut.  Die Cheerleaderkapitänin bemerkte meine Beobachtung ebenfalls und ein leichtes Siegerlächeln breitete sich auf ihren rot geschminkten Lippen aus.  „Tessa", dann sah sie mich an und fügte hinzu,„und du armer Kerl wurdest bereits am ersten Tag dazu verdammt, dass dieses amrselige Wesen dich begleitet." Ich verdrehte genervt die Augen. „Wo ist denn Ethy?", hackte sie weiter munter drauf los. Ich hasste es, wenn sie ihn so nannte. „Der bereitet sich für das Training vor?!" „Wie armselig ist das denn? Hast du kein eigenes Leben? Schon einmal daran gedacht, dass Ethy auch einmal eine Pause von dir möchte, und meiner Meinung auch verdient hätte?" Nun, das musste ich mir jetzt definitiv nicht bieten lassen. Aber da ich das Gefühl hatte, dass es reichte, wenn ich mich ein Mal am Tag mit ihr anlegte, ging ich wortlos an ihr vorbei und stapfte grummelnd auf die Zuschauertribüne zu.  Nach wenigen Minuten ging das Training los und Oliver liess sich neben mir nieder.  „Ich muss schon zugeben: Tessa ist eine echte Granate! Wieso ist sie so zu dir?", meldete sich Oliver nach einigen Minuten des Schweigens zu Wort. Ich verdrehte die Augen. „Sie ist so zu mir, weil ich mich nicht von ihr schikanieren lasse, weil ich besser im Cheerleaden bin, weil ich sie mehr als ein Mal vor unseren Mitschülern vorgeführt habe, weil ich die Schwester von fünf gut aussehenden Typen bin, von denen vier im Footballteam und ebenfalls Badboys sind, weil ich ihr Ethan ausgespannt habe und wohl auch, weil Ethan trotz meiner Narben im Gesicht noch bei mir ist. Zusammengefasst ist sie so zu mir, weil ich überhaupt existiere. Frage beantwortet? Aber hey! Wenn sie dir gefällt, dann tu mir doch den gefallen und nimm sie gleich mit, wenn du wieder zurück nach New York gehst", gab ich eine Spur zu zickig zurück.  „Okay", begann Oliver,„und warum bist du so zu mir?" Darauf gab ich keine Antwort, zumal ich es selbst nicht so recht wusste.  „Ist es wegen heute morgen? Bist du echt so nachtragend?" Nun brach meine Mauer, die ich gegen ihn aufgebaut hatte etwas zusammen. Nein, ich war doch eigentlich gar nicht nachtragend. Igrendetwas an ihm machte mich einfach... nervös. Ich liess die Schultern hängen und sah zu ihm auf. „Nein, bin ich nicht. Tut mir leid." Oliver nickte. „Was ist es dann?" „Ich habe in letzter Zeit sehr mit mir selbst zu kämpfen", antwortete ich gedankenversunken.  Ethans Cousin hatte keine Ahnung, wie sehr dies der Wahrheit entsprach.  In letzter Zeit hatte ich wirklich sehr mit mir zu kämpfen, und angefangen hatte es vor über drei Jahren.
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