III

870 Words
IIIChiara kommentiert: «Das macht wenig Sinn, wenn du mir den Rest nicht zeigst.» «Diese vertikalen Striche stehen für die lateinische Zahl drei: das ist die Seitennumerierung. Um die seltsame Kombination von Buchstaben und Zahlen hier unten zu verstehen, wäre es vielleicht hilfreich, die ersten beiden Blätter zu haben.» «Sie sind nicht in meinem Besitz. Ich habe sie zwar gesucht, aber nicht gefunden.» «Beleidige nicht meine Intelligenz. Erst gestern ist einer unserer Abgesandten in dem Haus in Lissabon zurückgekehrt. Er hat überall gesucht: nichts.» «Jeder könnte sie genommen haben» entgegnete sie. «Theoretisch schon, aber ich nehme an, wenn du hier bist, dann um deinem Freund die Papiere zu zeigen... Wie heißt er schon?» Chiara schaut zum Fenster. «Francesco Speri.» «Genau. Du hoffst, dass Speri die Suche von deinem Chef fortsetzen wird.» Sie schweigt und schaut ihren schlafenden Sohn. «Wir wissen, was er herausgefunden hat. Wir sind ihm monatelang gefolgt.» Chiara schweigt weiter. «Seien wir ehrlich. Dein Anführer hat von der Existenz einer Inschrift gesprochen, die sicher völlig falsch ist, die aber in den Händen von Unwissender etwas anderes als das Wahre glauben machen würde.» «Es mag sein. Jedenfalls waren es nur Wahnvorstellungen, die mit ihm ein Ende fanden.» Chiara erschaudert, bevor sie flüstert: «Ihr wart es? Habt ihr ihn getötet?» «Ich will nicht verschweigen, dass sein Tod ein Glücksfall war. Im Polizeibericht heißt es jedoch, dass es Selbstmord war.» «Mördern! Jetzt ist er tot. Was wollt ihr noch?» fragt sie besorgt. «Ich glaube, wenn ich den Kleiderschrank öffnen oder vielleicht deinen Koffer durchstöbern würde, würde ich die beiden anderen Bögen finden.» Chiara richtet ihren Blick unmerklich auf das Badezimmer. «Oder vielleicht würde ich die wertvollen Notizen dort drüben finden, in dein Kosmetikkoffer?» Chiaras Gesichtszüge bleiben undurchschaubar. «Ich will nicht in deinen Sachen stöbern. Du kannst die Bögen behalten.» Sie versucht, ihre Überraschung zu verbergen. «Diese Buchstaben ergeben für mich keinen Sinn. Wie du gesagt hast, können wir immer das alles auf das Geschwätz eines alten Mannes zurückführen. Aber sie können uns zu dem Objekt führen, nach dem wir beide suchen.» Der Mann setzt sich neben sie auf das Bett und schaut ihr direkt in die Augen, bevor er flüstert: «Du weißt, wovon ich spreche.» Chiara nickt. «Selbstverständlich suchen wir das Original. Dein Anführer vermutete, dass es Kopien existieren.» Chiara schüttelt den Kopf. «Ich weiß nichts davon.» Costantino schüttelt den seinen. «Warum müssen wir uns etwas vormachen? Wenn du hier bist, dann weißt du es. Er muss dir den genauen Ort des Originals genannt haben» «Nein.» «Du lügst. Es ist verständlich. Du vertraust mir nicht» Es folgt eine lange Pause, dann unterstreicht der Ritter seine Worte: «Und das ist gut so». «Bringen wir es hinter uns. Was wollen Sie von mir?» «Jetzt klingst du schon vernünftiger» kommentiert der Mann. «Du und dieser Francesco, ihr werdet die Bögen entziffern. Wenn ihr es geschafft habt, musst du mir alles berichten.» «Und warum sollte ich das tun?» «Nur dann werde ich dir den dritten und letzten Bogen geben. Ich glaube, er verrät den Aufbewahrungsort des Originals. Leider ist er, alleine, nicht nützlich.» «Wenn ich das töte, was würde dann passieren?» «Wir werden wissen, was zu tun ist.» «Und was hätten wir davon?» Costantino steht auf und nähert sich wieder an sie. Er streichelt Giulianos Gesicht; dann wendet er sich ab. «Niemand wird verletzt.» Chiara nimmt all ihren Mut zusammen und erwidert es in einem unmissverständlichem Ton: «Wir sind eine mächtige Organisation, die über die ganze Welt verteilt ist. Damit kommt ihr nicht durch.» «Wir zählen unter uns Adlige, Fürsten und Bischöfe. Unseren Sacro Ordine hat seine Wurzeln in dem Römischen Reich. Ihr seid nur ein Orden aus dem Neunzenten Jahrhundert.» «Ich erlaube dir nicht, so über den Hermetic Order of the Golden Dawn zu sprechen.» «Glaubst du, ich brauche deine Erlaubnis?» Der Mann stellt den Stuhl unter den Schreibtisch. Dann sucht er etwas in seinem Portemonnaie. «Hier ist meine Nummer.» Chara nimmt Costantinos Visitenkarte, der sie noch einmal erinnert: «Ich erwarte morgen einen Anruf von dir.» Bevor er die Tür hinter sich schließt, verabschiedet er sich: «Ich wünsche dir eine ruhige Nacht und... Gib der Kleinen einen Kuss von mir.» Costantino ist mit dem Gespräch nicht zufrieden und setzt sich zum Telefonieren auf die Stufen der Kirche auf der zentralen Piazza Tolomei.«Mein lieber Bruder.» «Zu Euren Diensten, mein Herr.» «Es hat keinen Sinn mehr für dich, in Portugal zu bleiben. Du musst sofort nach Italien zurückkehren, ich habe eine wichtige Aufgabe für dich.» «Ich bin bereit.» «Du musst zwei Menschen folgen. Ich sende dir die Bilder.» Der Junge schaut sich die Bilder auf w******p und fragt dann: «Ich weiß, wer sie ist. Aber wer ist er?» «Das geht dir nichts an. Halte dich nur an deine Befehle an.» «Ich habe bereits in der Vergangenheit gezeigt, was ich kann....» «Wir sind dir alle dankbar... Wenn sie es gefunden haben, musst du es ihnen wegnehmen: um jeden Preis!» Der Junge schweigt. «Um jeden Preis», wiederholt der Mann und blickt auf die Säule mit der Statue der Wölfin, die die Zwillinge säugt, ein Motiv, das Siena mit der Ewigen Stadt verbindet. Aus der Ferne sind Trommeln zu hören, und dann zieht eine festlich geschmückte Contrada durch die Straße: Costantino hält diesen originellen Umzug mit seinem iPad fest.
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