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Nimue Götterschwinge

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Nimue ist ein ganz normales Mädchen, das ein ganz normales Leben lebt.

- Bis zu dem Tag, an dem ihr neues Leben begann.

Ein Strudel von Ereignissen reißt sie fort aus einer Welt, hinein in ein Land, das ihren Namen trägt, benannt nach der obersten Göttin dieses Refugiums.

Wird sie die Ereignisse, die sie bald schon ins Zentrum einer Prophezeiung drängen überleben?

Oder werden die Welten gemäß ihrer Vorsehung zerschmettert werden und untergehen?

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Kapitel 1: Wie mein Leben endete
„Wisst ihr, meine Kinder, vor euch liegt eine wirklich schwierige Aufgabe. Eigentlich unmöglich. Es schmerzt mich, dass ich sie euch nicht abnehmen kann. Aber zumindest eines kann ich für euch tun. Ich kann euch meine Geschichte erzählen, damit ihr zumindest in der Lage sein werdet, die Hintergründe des Untergangs zu verstehen und aus meinen Fehlern zu lernen.“ „Wisst ihr, eure Mutter hätte die Weltenretterin sein sollen.“ Versonnen strich ich das feuerrote Haar meines Sohnes glatt. Mein Blick nach innen gerichtet, während ich mein Scheitern mit leisen Worten eingestand: „Ich habe es verpasst, mein Schicksal zu erfüllen. Nun liegt es an euch, Serene, meine Tochter des Windes und Dymian, Sohn des Feuers, die Scherben meines Scheiterns aufzulesen und zusammenzufügen, was verloren ging.“ Ich seufzte und strich Serene sanft über die rosige Wange. Ich konnte ein zufriedenes Lächeln nicht unterdrücken, als ich in die großen Kinderaugen blickte, die mich voller ernsthafter Aufmerksamkeit meine Geschichte erwarteten. Ich hatte alles dafür getan, um meine Kinder auf die vor ihnen liegende Herausforderung vorzubereiten. Nun konnte ich nicht mehr tun, als ihnen die Wahrheit zu sagen, damit sie ihrem Schicksal nicht blind begegnen mussten. Und so entschied ich mich ganz am Ende zu beginnen. Das Ende meines ersten Lebens, das den Beginn meines zweiten einläuten sollte. Eliah, mein Freund - oder Lebensgefährte wie man so schön sagte - war schon lange vor Eintreffen der ersten Geburtstagsgäste nervös und trat unruhig von einem Bein auf das andere. Es war immer das Gleiche mit ihm. Alles sollte perfekt sein. Ich selbst war über solche perfektionistischen Anwandlungen längst hinaus. Man plante und organisierte alles bis ins kleinste Detail, gab sich die allergrößte Mühe, die man sich nur vorstellen konnte und nachher ging doch jedes Mal etwas schief und man fühlte sich anschließend hundeelend, weil man sich doch alles viel schöner vorgestellt hatte. Aus diesem Grunde war ich ein regelrechter Partymuffel. Doch an diesem wunderschönen, lauen Hochsommerabend mitten im August, war ich gezwungen, meinen üblichen Pessimismus hinunterzuschlucken und meinen geliebten Eliah, der diesen Samstag seinen zweiundzwanzigsten Geburtstag nachfeierte nach bestem Wissen und Gewissen bei der Vorbereitung seiner Feier zu unterstützen. Er freute sich bereits seit Wochen auf diesen Tag, zu dem er alle eingeladen hatte, mit denen er je zu tun gehabt hatte. Jedenfalls erschien es mir so. Die Hälfte der Gäste kannte ich nicht einmal. Jedoch hatte es sich mein Freund in den Kopf gesetzt, noch einmal alle einzuladen, bevor er ab Herbst anfangen wollte auf einer Ölbohrinsel zu arbeiten, was er vor einigen Monaten recht kurzfristig entschlossen hatte, nachdem er seinen Job nach gerade einmal einem Jahr Berufserfahrung verloren hatte, weil sein Arbeitgeber Insolvenz anmelden musste. Gerade deshalb würde ihm die Feier heute guttun. Ein gutes Dutzend Bierkästen, sowie einige Flaschen Wodka, Energy-Getränke und was unser zugegebenermaßen eher schmales Budget so hergegeben hatte, warteten nur darauf, uns unsere Zukunftsängste zumindest für eine Nacht vergessen zu lassen. Und vermutlich auch noch für den nächsten Tag. Denn da würde unser Kopf wahrscheinlich damit beschäftigt sein, diesen Abend zu bereuen, anstatt sich um die Zukunft Sorgen zu machen. Ein Hupen rollte den Hügel zur Grillstelle hinauf und unterbrach meine von Sarkasmus durchzogenen Gedanken, die im Grunde nur meiner tiefliegenden Unsicherheit zu verdanken waren, in die mich die Aussicht versetzte, bald schon Gastgeberin für so viele Leute spielen zu müssen – und das, wo ich doch unter mehreren Menschen immer so Mühe hatte, aus mir heraus zu kommen. Ich blinzelte und holte tief Luft, wobei ich zu Eliah hinüberschielte, der sich an dem tragbaren Ghettoblaster zu schaffen machte, den wir mitgenommen hatten, weil wir feststellen mussten, dass wir hier im Wald keinen Empfang für unsere Handys hatten, mit denen wir die üblichen Boxen hätten verbinden können. Im diesem Moment erschienen Samuel und Tim mit ihrem blauen Mini auf der Bildfläche. Ein lauter HipHop-Beat dröhnte aus übertriebenen Verstärkern und machte die Einrichtung des veralteten Geräts im Grunde obsolet. Nun ja, sobald die Autobatterien ihren Geist aufgaben, würde das alte Schätzchen uns sicher seinen Dienst erweisen. Ich seufzte und beobachtete Eliahs Miene, die sich beim Eintreffen seiner besten Freunde sichtlich aufhellte. Na gut, dann brauchte er mich ja offensichtlich erstmal nicht mehr. Ich kannte das Prozedere bereits seit Langem und so trat ich widerstandslos in den Hintergrund. Samuel und Tim waren Eliahs Freunde seit der Grundschule. Seit dem Abitur gingen sie jedoch unterschiedliche Wege. Während Eliah ein Studium in Wirtschaftsinformatik angefangen hatte, hatte sich Tim auf der Kunstakademie eingeschrieben und Samuel machte eine Ausbildung als Mechatroniker. Trotzdem verstanden sich die drei noch immer wie Brüder, nur dass sie sich eben nicht mehr so oft sahen wie früher, was zum Teil sicherlich auch an mir lag, wie Eliah selten müde wurde, zu betonen. Inzwischen war der Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen gekommen und die beiden Vordertüren öffneten sich beinahe zeitgleich. Eliah schenkte mir ein aufgeregtes Grinsen und ging seinen beiden Freunden mit weitausgreifenden Schritten entgegen. „Hey Eli, Mann, du alter Sack! Herzlichen Glückwunsch!“ Samuel umarmte seinen alten Kumpel lässig aber herzlich. „Danke.“ Eliah kam kaum dazu etwas zu sagen, als ihm Tim auch schon stürmisch in die Arme schloss und fest an sich drückte. Ein seltsamer Stich der Eifersucht begann mal wieder an mir zu nagen, wie immer wenn ich die drei zusammen sah. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn ich selbst Freunde gehabt hätte, so kam ich mir in diesen Augenblicken regelrecht wie eine Aussätzige vor. „Hey Kleine! Komm her!“ Samuel drückte mir flüchtig die üblichen Begrüßungsküsschen auf beide Wangen. „Hey Callida! Wie geht’s dir? Alles klar?“ Tim drückte mich an sich und klopfte mir auf die Schulter als wäre ich ebenfalls ein alter Kumpel. Obwohl nach meinen sechs Jahren Beziehung mit Eliah war ich das wohl irgendwie auch. „Klar! Und wie geht’s euch?“ Ich ertappte mich dabei, wie sich meine Stimmung unerwartet aufhellte. Irgendwie freute ich mich doch die beiden vertrauten Gesichter mal wieder zu sehen. „Ach, uns geht’s auch super! Aber jetzt haltet die Luft an, Kinder! Samuel und ich haben so ein galaktisches Geschenk für dich, dass ihr den Mund gar nicht mehr zukriegen werdet! Versprochen!“ Tim übertrieb mal wieder so maßlos, dass ich nicht mehr an mich halten konnte und lauthals losprustete. „Ach Schätzchen! Das ist aber nicht nett, dass du mich auslachst! Mei, wo simma denn hier?“, protestierte Tim in gespielt affektiertem Ton, wobei er seine Fäuste in theatralischer Manier in die Seiten stemmte. „Nimm’s nicht so ernst Tim. Calli meint es nicht so.“ Eliah unterdrückte mit Mühe und Not ein Grinsen und schlug seinem Kumpel mit der flachen Hand auf die Schulter. Anschließend verlor sein Ton den neckischen Klang. Neugierig fragte er: „Was habt ihr denn für mich?“ „Nana! Nicht so schnell, wir wollen doch, dass es alle mitkriegen! Wir haben uns sowas Tolles für dich überlegt, da wirst du bestimmt rot vor Freude, mein Lieber!“ Tim gestikulierte mit seinen Händen so wild, dass ich mich ducken musste. „Oh Süße, dass tut mir so leid! Ich hab dich gar nicht gesehen!“ „Schon in Ordnung. Ich bin ja nicht so groß.“, meinte ich voller Selbstironie. „Auch wenn du nicht groß bist, so strahlt dein Licht dennoch so hell, dass man dich gar nicht übersehen könnte, selbst wenn man möchte.“, warf Samuel daraufhin etwas unpassend von der Seite ein, sodass ich mich allmählich fragte, was die beiden wohl schon intus hatten. „Mensch Samuel, was war das denn?“ Eliah boxte seinen Kumpel scherzhaft in die Schulter. „Ich muss üben. Tim hat mir letzte Woche eine seiner Kommilitoninnen vorgestellt und die steht total auf Poesie… Da dachte ich mir, ich kann an Callida hier vielleicht ein wenig üben.“ Samuel grinste bis über beide Ohren. „Richtig erwischt hat es ihn.“ Tim verdrehte die Augen. „Ich kann ja wirklich nicht verstehen, wie man sich so von einem Weib den Kopf verdrehen lassen kann, dass man sich selbst verbiegt. Nichts für ungut.“ „Kein Problem.“, beschwichtigte ich Tim schmunzelnd, während ich Samuel ein wenig besorgt musterte. „Du brauchst doch gar nichts sagen, Alter! Du verbiegst dich doch für jeden Kerl, der dich nur mal nett angrinst!“ Unser verliebter Freund wirkte ein wenig beleidigt. „Jetzt kommt schon Leute, wie wär es mit ‘nem Bier?“ Eliah führte die beiden Streithähne zu den Bierbänken, die wir mühevoll in den Wald gekarrt hatten. „Klar, gerne!“ „Immer doch!“ „Schatz, warte mal!“, rief ich Eliah nach. „Was ist denn?“, Eliah kam noch einmal zurück und legte mir liebevoll die Hand um die Taille. Erleichtert stellte ich fest, dass die Anspannung endlich aus seinem Gesicht gewichen war. Stürmisch drückte er mich an sich und gab mir einen schmatzenden Kuss. Leichte Schmetterlinge tanzten in meinem Bauch, als er mich wieder losließ und mit einem zärtlichen Blick bedachte. „Ich hol jetzt schnell meine Schwester ab, in Ordnung?“ Ich hatte ihm bereits vor Wochen das Versprechen abgerungen, dass ich Jo – eigentlich Johanna – zur Unterstützung angesichts der geballten Männerfaktion dazuholen könnte. „Klar, hast du den Autoschlüssel?“ Ich kramte kurz in meiner Hosentasche und ertastete nach kurzem Suchen den kleinen glatten Schlüssel. „Ja.“ „Dann bis gleich.“ „Bis gleich, ich liebe dich.“ „Ich dich auch. Aber jetzt husch! Ich brauch dich hier.“ Ich lachte vergnügt auf, als er mir einen leichten Klaps auf dem Hintern versetzte. Immer noch grinsend drehte ich den Schlüssel um und startete unseren kleinen hellgrünen Fiat Punto. Als ich mit Jo zurückkehrte, war es schon dunkel. Fast hätte ich keinen Parkplatz mehr gefunden, so viele Leute waren bereits eingetroffen. Ich funkelte Jo ärgerlich an. „Was denn? Ich habe leider noch keinen Freund.“, verteidigte sie sich patzig. „Was soll das denn bitte heißen?“, fragte ich gereizt, während ich in meiner Ungeduld die Kupplung zu früh losließ, so dass der Punto noch einen hässlichen Satz nach vorne machte. „Danke, das habe ich jetzt gebraucht!“, zickte Jo mich an. „Jetzt komm schon! Lern du erstmal fahren, dann kannst du mich nochmal anmotzen, weil ich die Karre abwürge.“ Obwohl ich auf gewisse Weise das Gefühl hatte, dadurch meine Würde zu verlieren, musste ich plötzlich lachen. „Was ist denn los?“ Meine kleine Schwester gaffte mich verständnislos an, konnte sich aber das Lachen auch kaum noch verkneifen. „Wir sind schon zwei Zicken! Wir sehen uns so selten und dann haben wir nichts Besseres zu tun, als zu streiten!“ „Na wie Schwestern nun mal sind, oder?“ Jo strahlte wieder ihr breites Lächeln. „Wie sieht’s aus? Können wir?“ Sie hatte bereits die Hand am Türgriff. „Moment! Zuerst will ich wissen, was du damit gemeint hast, dass du ja noch keinen Freund hast.“ Wieso schaffte sie es eigentlich immer wieder mich zu verunsichern? Schon wieder fühlte ich leichten Ärger in mir aufsteigen. „Ach gar nichts. Komm lass uns die Party stürmen!“ Jo wartete gar nicht auf eine Antwort und stieg schwungvoll aus dem Auto. „Halt! So kommst du mir bestimmt nicht davon. Ich will das jetzt wissen.“ Ich hielt Johanna an der Schulter zurück. „Wenn du’s unbedingt wissen willst...“ „Ja, bitte!“ „Also schön! Ich habe gemeint, dass ich nun mal noch etwas mehr Wert auf mein Styling legen muss als du!“ Ich schnappte hörbar nach Luft. „Soll das etwa heißen, dass ich nicht gut aussehe?“ Ich konnte meine Entrüstung kaum verbergen. „Nein, natürlich nicht, es ist nur, dass du dich ruhig ein bisschen mehr hättest schminken können.“ „Also entschuldige mal! Zufällig waren wir den ganzen Tag mit dem Aufbau hier beschäftigt. Wann hätte ich mich denn bitte auftakeln sollen?“ Verletzt starrte ich meine kleine Schwester an, die im Gegensatz zu mir stets viel Wert auf ihr Makeup legte. „Ach komm schon, sei nicht sauer. Du siehst gut aus, Callida.“ „Das will ich ja wohl meinen.“ Eliah kam zwischen den Autos hindurch auf uns zu. Im Dunkeln vor dem hellen Hintergrund des Grillfeuers war nur noch das Leuchten seiner Augen und seiner schneeweißen Zähne zu erkennen. „Danke Liebling.“ Ich schmiegte mich zufrieden an meinen Freund und fühlte mich gleich viel wohler. Das Problem war, dass meine Schwester recht hatte, deshalb ging mir ihre Stichelei auch so unter die Haut. Ich hatte leider bei dem ganzen Stress völlig vergessen mich hübsch zu machen für die Party. In meiner Jeans und meinem schlichten Top mit der Strickjacke sah ich alles andere als spektakulär aus. Ich seufzte, es musste einfach reichen. „Nicht dafür, mein Schatz. Komplimente dem, dem sie gebühren. Du siehst übrigens toll aus, Jo.“, fügte Eliah hinzu, während er den Arm besitzergreifend um mich legte und mich in Richtung Feuer schob. „Kommt ihr mit zum Feuer?“, bekräftigte er noch einmal durch Worte seine Absicht. „Samuel und Tim wollen jetzt endlich die Bombe platzen lassen.“ „Was für eine Bombe denn?“, erkundigte sich Jo neugierig. „Ach, sie haben dir ihr Geschenk noch gar nicht gegeben?“, freute ich mich und vergaß vor Neugierde meine schlechte Laune. „Und was meint ihr wohl, haben wir uns für unseren schnuckeligsten aller Freunde ausgedacht?“ Tim liebte es den Alleinunterhalter zu spielen, während die anderen ihn alle gespannt beobachteten. „Ach komm schon, Alter! Jetzt lass es uns doch einfach sagen!“ Samuel wurde langsam ungeduldig. Ich nippte an meiner Bacardi-Cola, die mich mein ungeschminktes Äußeres allmählich vergessen ließ. Eliah stand bei seinen Freunden am Feuer und versuchte zu erraten, was das Geschenk wohl sein mochte. „Mensch Leute, jetzt sagt schon! Eine Ballonfahrt? Ein Skiwochenende? Ein Känguruh?“ „Wie kommst du denn auf ein Känguruh?“ Samuel verdrehte die Augen. Ihm war dieses im Mittelpunkt-stehen, sichtlich unangenehm. „Na schön!“ Tim kicherte vergnügt. „Ich sehe schon, du kommst nie da drauf, wie gut wir es mit dir meinen, mein Lieber. Dann werden wir es dir eben sagen.“ „Nun macht schon!“, wurde Tim von gelangweilten Rufen aus der Menge unterbrochen. Schmollend verzog er den Mund und setzte zu einer schnippischen Antwort an, als Samuel ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm legte. „Komm schon, Alter, reg dich nicht auf.“ „In Ordnung. Aber nur Eliah zu liebe.“ Tim strahlte meinen Freund stolz an, weil er erfolgreich sein Temperament gezügelt hatte, was ihm bekanntlich immer sehr schwerfiel. „Also unser Geschenk für dich ist: Eine Woche mit uns in einem Fünf-Sterne-Luxus-Party-Hotel auf Ibiza!!!“ Tim kostete das glückliche, überraschte Gesicht Eliahs genüsslich aus. Währenddessen zog sich meine Brust schmerzhaft zusammen. Eliah eine Woche alleine auf Ibiza? Mit diesen beiden? Ich konnte mir schon vorstellen, wie das aussehen würde! Party, Saufen und höchstwahrscheinlich Weiber, nun ja und Männer… Ich begann rot zu sehen und kippte den Becher in meiner Hand in einem Zug runter. Meine Augen suchten Jo in der Menge und fanden sie auch. Allerdings hing sie bereits am Arm eines mir nur flüchtig bekannten Kumpels von Eliah. Ich glaube, sein Name war Oliver. Sah sicherlich ganz gut aus, war aber für meinen Geschmack schon viel zu alt für meine gerade achtzehnjährige Schwester. Ich knirschte mit den Zähnen. Naja, wenn mir meine Schwester jetzt nicht helfen würde, dann musste halt der Alkohol herhalten. Ich fing an mich durch die Menschentraube zu wühlen, als Samuel sich noch einmal zu Wort meldete, nachdem Eliah ihm und Tim bereits einige Male dankbar um den Hals gefallen war. „Selbstverständlich haben wir auch daran gedacht, dass du ja nicht alleine bist.“ Mit klopfendem Herzen spitzte ich die Ohren und verharrte mitten in der Bewegung. „Und da wir so gute Freunde sind.“, ergänzte Tim schelmisch. „Haben wir natürlich auch ein Ticket für Callida gekauft.“ Mein Herz machte einen freudigen Sprung. Wie von Sinnen drängte ich mich durch die Feiernden und fiel Samuel und Tim stürmisch um den Hals. „Ich danke euch Leute! Das ist so lieb von euch. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Tränen standen mir in den Augen, als ich glückselig zu Eliah aufblickte und in seine Arme sank. „Na für was hältst du uns denn?“, begann Tim. „Denkst du etwa, wir wollen unseren besten Freund in Schwierigkeiten bringen?“ Tim tat beleidigt. „Ihr seid wirklich die besten Freunde, die man sich nur wünschen kann.“ Eliah strahlte. Der Bacardi stieg mir allmählich zu Kopf und ich spürte wie die Hitze in meine Wangen stieg. Langsam aber sicher begann das Blut in meinen Ohren zu rauschen und die gutgelaunten Stimmen hallten seltsam verzerrt in meinem Kopf wider. Ich hielt bereits ein neues Getränk in den Händen, wo zur Hölle das schon wieder hergekommen war, wusste ich beim besten Willen nicht zu sagen. Der Abend eilte viel zu schnell voran und ich blieb die ganze Zeit an Eliahs Seite. Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass sich mein Freund trotz seiner Gastgeberrolle die ganze Zeit um mich bemühte. Irgendwann löste ich mich aus der Gruppe um meinen Freund, um mich auf die Suche nach Jo zu machen. Leicht schwankend lief ich die einzelnen Grüppchen ab und erkundigte mich nach meiner Schwester, doch keiner wollte sie gesehen haben. Voller Sorge suchte ich schließlich den dunklen Waldrand ab, wo ich sie endlich in sinnlicher Umarmung mit diesem Oliver fand. Resigniert ließ ich die beiden in Ruhe knutschen, merkte mir jedoch die Stelle, um später noch einmal nach meiner Schwester zu sehen. Unsicher stolperte ich weiter am Waldrand entlang und fand letztendlich eine abgeschiedene Stelle, von der aus ich zwar die Gruppe am Feuer mit meinem Freund noch im Blick hatte, jedoch selber nicht gesehen werden konnte und hockte mich hinter eine knorrige alte Eiche, um mit einem erleichterten Seufzen mein Wasser zu lassen. Die Welt drehte sich bereits rasant vor meinen Augen, als ich wieder hinter den Büschen hervorkam und ich musste mich an der alten Eiche, die mein Versteck säumte, abstützen um einigermaßen sicheren Schrittes zu den anderen zurückzufinden. Geblendet kniff ich meine Augen zusammen, während ich mich schwankend dem Lagerfeuer näherte. Absolut konzentriert darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen ohne zu stürzen, bemerkte ich den extremen Wetterumschwung zunächst gar nicht, der sich binnen weniger Sekunden vollzogen hatte. Etwas irritiert schaute ich nach oben, wobei ich vergeblich versuchte, meine wild peitschenden Haarsträhnen irgendwie hinter meinen Ohren zu fixieren. Was ich da am Himmel einige Schritt oberhalb der Feuerstelle erblickte, ließ mich an meinem Verstand zweifeln, oder an meiner Sehkraft. Oder vielleicht war auch einfach der Alkohol Schuld, den mir eine besonders heftige Böe gerade unsanft aus der zitternden Hand riss. Meine Augen folgten noch immer dem Becher, der haltlos über den trockenen Waldboden kullerte, als ich mit einem Mal spürte, wie eine heftige Sturmböe mich von hinten erfasste und taumeln ließ. Erschrocken stolperte ich ein paar Schritte vorwärts, wobei ich mich verzweifelt bemühte, mein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Auch in die Grüppchen am Feuer war inzwischen Bewegung geraten, vor allem, weil der Sturm die Flammen weit in den Nachthimmel hinauf zu peitschen begannen. Funken stoben empor und wurden von dem klaffenden Loch in der Wirklichkeit verschluckt, der sich über der Lichtung gebildet hatte und die Sicht auf den eben noch klaren Sternenhimmel versperrte. Entgeistert schrie ich um Hilfe, als ich eine noch stärkere Böe als zuvor mich erfasste und vor sich her zur Lichtung trieb. Ich fühlte, wie ich den Boden unter den Füßen verlor, doch meine Schreie wurden vom Tosen des Windes verschluckt, der mich in seinem Inneren gefangen hielt. Wie in einem umgekehrten Strudel wurde ich höher und höher emporgerissen, direkt hinein in diesen schwarzen Riss, der sich mitten im plötzlich wolkenverhangenen Himmel gebildet hatte. Von oben sah ich, wie die Leute auf der Lichtung hektisch durcheinanderrannten. Das Feuer wurde vom Wind in alle Richtungen getrieben. Zum Glück nicht bis hinüber zu den Bäumen, die nach dem trockenen Sommer sicher schnell in Brand geraten wären. Nur eine dunkle Gestalt rannte zielgerichtet auf mich zu und streckte ihre Hand aus, wie um mich zu berühren. Hoffnungslos stemmte sich Eliah gegen den gigantischen Sog, der auch ihn von den Füßen zu reißen drohte und versuchte verzweifelt meine Hände zu fassen zu bekommen. Ich streckte mich, aber der Sog war viel zu stark. Noch einmal schien der tobende Sturm zuzunehmen und erfasste nun auch Eliah, der noch versuchte mir einen beruhigenden Blick zu schenken, als sich unsere Hände endlich berührten. In dem Augenblick, als sich unsere Fingerspitzen trafen, erlosch das Tosen um uns herum. Wir befanden uns in der Luft, gute fünf Meter über der Lichtung, wo unsere Freunde und Bekannten noch immer wild durcheinanderliefen und fassungslos in unsere Richtung zeigten. Dort unten fegte noch immer der heftige Wind und peitschte die Baumwipfel erbarmungslos in schnell wechselnde Richtungen. Für den Bruchteil einer Sekunde schwebten wir über den Dingen. Mitten im Auge des Sturms. Direkt in den klaffenden Riss hinein, der sich inmitten der Wirklichkeit gebildet hatte. Sobald wir hindurch waren, schloss sich die Finsternis um uns herum wie ein hungriges Maul. „Dies meine Kinder war das Ende.“ Ich lachte leise. „Ich wusste gar nicht, dass ich mich noch so gut an jede Einzelheit erinnern kann. Aber beim Erzählen scheint alles wieder zu mir zurückzukommen.“ „Warum erzählst du uns erst jetzt, dass wir eine Tante haben, Mutter?“, fragte Serene mit ihrer hellen Mädchenstimme. Ich seufzte lautlos und strich ihr eine ihrer unbändigen Locken aus dem Gesicht. Ich wollte nicht sagen, dass sie meine Schwester wohl niemals kennenlernen würde. Daher war ich froh, dass Dymian das Gespräch an sich riss: „Was ist Alkohol, Mutter?“ Eifrig wollte nun auch Serene wissen: „Und was ist eine Party? Und was heißt ungeschminkt? Und…“ Lächelnd unterbrach ich sie: „Das erkläre ich euch alles ein anderes Mal, denn diese Geschichte hat in diesem Moment ein Ende gefunden. Wollt ihr denn nicht viel lieber hören, wie meine eigentliche Geschichte begann?“ Wie erhofft nickten die Kinder mit ihren großen Augen und ließen sich vor meinem Hocker wieder im Schneidersitz auf den sonnenbeschienen Steinen des Hofs nieder. Ich wusste, dass meine Zeit allmählich knapp wurde, wenn ich den Kindern wirklich die ganze Geschichte erzählen wollte, dennoch gestatte ich mir noch einen nachdenklichen Blick auf die hellen Sandsteinmauern unseres von den Welten entrückten Zuhauses. Diese Wände hatten uns beschützt und doch waren Solus und ich die einzigen Lebewesen, denen meine Kindern je begegnet sind. Wohl behütet, fern ab allen Leids, waren diese beiden göttlichen Wesen aufgewachsen. Nichts hatte sie auf die Aufgabe vorbereitet, die ihrer harrte. Für die sie bestimmt waren. Diese besonderen Zwillinge wussten nichts von der Wirklichkeit. Deshalb musste ich es ihnen erklären. Alles, was ich wusste. Den Rest würden sie selbst herausfinden müssen. Alles zu seiner Zeit. Alles an den dafür vorgesehenen Orten. So wie mein Scheitern geschrieben stand, wissen die Götter auch von ihrem Sieg. Und so erzählte ich ihnen, wie alles begann, denn bald schon musste ich sie ziehen lassen. Meine Kinder würden sich alleine durchschlagen müssen. Getrennt voneinander. Zwillinge in Zwillingswelten, um zu retten, was verloren war. Ich hatte sie vorbereitet, ihnen alles beigebracht, was ich konnte, was ich wusste. Hatte geholfen, ihre eigenen besonderen Fähigkeiten in ihnen zu wecken. Sie wirkten so jung, so absolut unschuldig. Und doch waren sie bereit. Alles, was ihnen noch fehlte, war die Wahrheit.

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