Kapitel Elf
Nach Damons Weggang herrschte Stille im Zimmer.
Ich war allein mit meinen Gedanken.
Ich saß still auf dem Bett und wischte mir eine Träne weg.
Ich blickte aus dem Fenster und stand auf.
Meine Beine fühlten sich unter meinem Gewicht ganz schwach an.
Es war über eine Woche her, seit ich ans Bett gefesselt war. Meine Beine waren schwach, aber ich zwang mich aufzustehen. Ich stand auf und stützte mich am Fenster ab.
Ich blickte zu den Sternen, die Nachtluft wehte mir ins Gesicht.
Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Wenigstens war ich in Damons Haus sicher. Mir fiel auf, dass er mehr Wachen um das Haus postiert hatte. Sie patrouillierten draußen, und ihre Anwesenheit gab mir ein Gefühl der Sicherheit.
Ein plötzliches Geräusch vor der Tür ließ mich zusammenzucken.
Ich trat hinaus, um nachzusehen, und folgte dem Geräusch in den Flur.
Am Ende des Flurs stand ein junges Dienstmädchen zitternd da. Vor ihr stand eine ältere Magd, die sie gegen die Wand drückte. „Du tollpatschige Ratte“, spuckte die ältere Magd. „Warum machst du ständig Sachen kaputt? Wenn du noch etwas kaputt machst, muss ich –“
„Jetzt reicht’s“, sagte ich vom Flur aus. Ich merkte gar nicht, dass ich gesprochen hatte, bis ich meine Stimme hörte.
Beide drehten sich zu mir um. Die ältere Magd erstarrte.
„Was machst du hier? Das geht dich nichts an, Halbmondmädchen.“
Ich trat einen Schritt vor.
„Sie ist ein Kind und macht nun mal Fehler“, erwiderte ich.
„Misch dich nicht in unsere Rudelangelegenheiten ein. Nur weil der Alpha dich hierhergebracht hat, heißt das nicht, dass du zu uns gehörst.“ Sie zischte und ging hinaus.
Ich ging auf die jüngere Magd zu. Sie stand still, ihre Finger zappelten nervös in ihrer Schürze.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte ich.
„Ja, Mylady“, sagte sie mit zitternder Stimme.
„Du musst mich nicht so nennen“, murmelte ich. „Wie heißt du?“ „Aria“, antwortete sie mit Tränen in den Augen.
„Wisch dir die Tränen ab, alles wird gut.“
Sie nickte.
Ein Wachmann kam auf uns zu.
„Sie dürfen sich nicht außerhalb Ihres Zimmers aufhalten.“ Seine Stimme hallte durch den Flur.
Ich nickte.
Ich klopfte Aria leicht auf den Ellbogen, bevor ich zurück ins Zimmer ging.
Ich war müde und legte mich aufs Bett.
Ein leises Klopfen an der Tür weckte mich.
„Herein“, sagte ich leise.
Die Tür öffnete sich, und ein Lächeln huschte über mein Gesicht.
Aria kam mit einem Tablett herein.
„Hier ist Ihr Abendessen, Mylady“, sagte sie. Sie klang erschöpft.
„Warum schläfst du noch nicht?“, fragte ich besorgt.
Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen.
„Ich bin noch nicht mit meinen Aufgaben für heute fertig.“ Ich seufzte besorgt.
„Wie alt bist du?“, fragte ich.
„Ich bin sechzehn.“
„Und deine Eltern?“ Ich fragte sie. Sie senkte den Kopf. „Sie sind nicht da.“ Ihr Magen knurrte laut. „Eigentlich … habe ich keinen Hunger“, sagte ich. „Hier“, sagte ich und schob ihr das Tablett zu. „Iss es.“
Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, sie wich zurück. „Ich kann nicht. Es gehört dir.“
„Ja, es gehört mir, und ich gebe es dir. Hier“, ich klopfte auf das Bett, „setz dich.“
„Ich sollte nicht“, antwortete sie.
„Schon gut“, versicherte ich ihr.
Sie zögerte, aber ihr Hunger siegte.
Sie setzte sich neben mich und stellte das Essen auf ihren Schoß. Zitternd hob sie den Löffel und nahm einen Bissen.
„Danke“, flüsterte sie.
Ich lächelte sie schwach an. Sie aß hastig.
„Hey, langsam“, sagte ich.
„Ich muss mich beeilen, damit ich meine anderen Aufgaben erledigen kann“, sagte sie zwischen den Löffeln. Sie stopfte sich den Mund voll und ich lächelte, wie süß sie aussah. Sie hustete. Ich lachte. „Ich hab dir doch gesagt, du sollst langsamer machen“, sagte ich. „Bitteschön.“ Ich reichte ihr ein Glas Wasser. Sie trank es in einem Augenblick aus. Sie lächelte mich an. „Es tut mir leid, Mylady“, sagte sie und hustete erneut. Ich drehte mich um, um ihr mehr Wasser zu holen, aber als ich zurückblickte, wurde ich kreidebleich. Der Löffel klirrte aus ihren Händen, sie keuchte heftig. Dann spritzte Blut aus ihrem Mund und bespritzte mein Kleid und meine Hände. Sie fiel zu Boden. „Nein, nein, nein, Aria!“ Ihr Körper verkrampfte sich, ihre Hände und Beine zuckten unkontrolliert, ihre Augen verdrehten sich. Mein Herz raste. Ich hielt sie in meinen Armen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. „Hilfe!“, schrie ich. „Bitte, jemand soll mir helfen!“ Die Tür öffnete sich und das Dienstmädchen von vorhin trat ins Zimmer. Ihre Augen waren voller Entsetzen, als sie schrie:
„Was hast du getan?“, schrie sie. „Was hast du ihr angetan?“
„Mir?“
Die Tür öffnete sich, und Damon stand da.
Sein Blick wanderte von der zuckenden Aria zu meinen blutigen Händen.
Aria hörte auf zu krampfen und erstarrte.
Ich sah Damon an, Tränen rannen mir über die Wangen.
„Damon…“, meine Stimme versagte.
Soldaten stürmten hinter ihm in den Raum.
Einer von ihnen ging auf Aria zu und fühlte ihren Puls.
„Sie ist tot“, verkündete er.
„Bringt die Leiche raus!“, befahl ein anderer.
Sie hoben Arias kleine Gestalt hoch. Ihr Kopf fiel schlaff zur Seite, als sie sie wegtrugen.
Ihre leblosen Finger glitten mir aus den Händen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich sie festgehalten hatte.
„Sie… Sie hatte Hunger“, flüsterte ich. „Ich wollte ihr nur etwas zu essen geben.“
„Nimm das Tablett“, befahl Damon. Ich spürte, wie raue Hände meine Arme packten. „W…Was tut ihr da?“, riss ich mich los. „Lasst mich los!“
„Du wirst festgehalten“, knurrte ein Krieger.
„Wofür?“, hallte meine Stimme wider.
„Weil ich eine Dienerin der Nachtschatten vergiftet habe.“ Mir wurde eiskalt. „Ich habe nicht – sie hat nur gegessen – ich würde niemals – Damon, sag es ihnen –“ Ich drehte mich zu ihm um. Die Krieger zogen mich zurück. „Damon!“, schrie ich.
Handschellen klickten an meinen Handgelenken. Ich sah, wie Damons Kiefer sich zusammenpressten, seine Hände sich zu Fäusten ballten. „Damon“, schrie ich. „Bitte sag etwas!“ Er rührte sich nicht, er sagte nichts.
Er sah nur zu, wie ich abgeführt wurde. Die Krieger zerrten mich den Flur entlang, meine Füße schrammten über den Boden. Ich wurde in eine Zelle gezerrt. Meine Knie bluteten von einer Schürfwunde, doch der Schmerz in meinem Bein war nichts im Vergleich zu dem Schmerz in meinem Herzen. Die Zellentür knallte hinter mir zu.