Kapitel 5
Damons Sicht
Als ich den Raum betrat, konnte ich die Angst noch immer riechen. Lyra stand wie erstarrt da, ihre Hand hing in der Luft, ihre Augen weiteten sich, als könne sie nicht fassen, dass ich sie erwischt hatte.
Selene stand ihr gegenüber, sie zitterte, und an ihrem Handgelenk, wo Lyra sie gepackt hatte, war ein Blutfleck.
Der Anblick ließ etwas in mir zerbrechen.
„Lyra“, knurrte ich erneut, diesmal mit tieferer, dunklerer Stimme.
Sie senkte sofort den Blick. „Damon, ich wollte nicht –“
„Du hast sie berührt.“
„Ich wollte nur –“
„Ich sagte, du hast sie berührt!“ Das Gebrüll kam aus tiefstem Inneren, mehr Tier als Mensch. Für einen kurzen Moment verlor ich die Kontrolle.
Lyra zuckte zurück, selbst als Selene einen Schritt von mir zurücktrat. Der Wolf in mir drängte sich noch stärker gegen die Oberfläche. Er mochte niemanden in der Nähe unserer Gefährtin, nicht einmal meine Lyra.
Vor allem nicht sie. Ich zwang mich, langsam zu atmen.
„Sie steht unter meinem Schutz“, sagte ich schließlich mit kalter Stimme.
„Du wirst nie wieder Hand an sie legen.“ Lyra senkte den Kopf, doch ihre Augen brannten noch immer. „Verstanden.“
Ich wandte mich von ihr ab. Wut schnürte mir die Kehle zu. „Geh.“
Sie zögerte. „Damon …“
„Jetzt.“
Lyra stürmte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Die Stille, die folgte, war ohrenbetäubend. Ich konnte Selenes unregelmäßigen Atem noch immer hinter mir hören.
Ich drehte mich nicht um. Ich konnte nicht, denn sonst hätte ich vielleicht etwas Unüberlegtes getan, nach ihr gegriffen, mich von der Verbindung zu ihr hingezogen gefühlt.
Stattdessen sagte ich, während ich versuchte, meine Gefühle zu ordnen: „Du hättest sie nicht provozieren sollen.“
„Sie hat zuerst auf mich losgegangen“, sagte sie mit ruhiger, fester Stimme.
„Das ist mir egal.“ „Du bist in meinem Haus“, sagte ich mit ruhiger Stimme.
„Du machst dir keine Feinde, gegen die du nicht kämpfen darfst.“
„Ich habe nicht darum gebeten, hier zu sein“, entgegnete sie.
Ihre Worte brachten mich zum Schweigen. Ich sah sie an, und für einen Augenblick trafen sich unsere Blicke. Der Trotz in ihrem Blick vermischte sich mit Erschöpfung und etwas Tieferem, das mich härter traf, als ich erwartet hatte.
Ich wandte den Blick ab. „Bleib in deinem Zimmer“, murmelte ich und ging hinaus, bevor mein Wolf mich erneut verraten konnte.
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Lyras Rückkehrfeier fand am Abend in der Haupthalle statt. Ich hatte sie nicht geplant. Sie war wochenlang auf Patrouille gewesen, hatte Bedrohungen an der Grenze abgewehrt und die Streuner davon abgehalten, sich zu sehr zu nähern.
Die Halle war von Kerzenlicht, Lachen und Musik erfüllt. Ich stand am Ehrentisch, der Alpha, den alle erwartet hatten: gefasst, undurchschaubar, unnahbar.
Lyra stand neben mir, über das ganze Gesicht lächelnd, als wäre die Szene in meinem Haus nie geschehen. Sie lachte mit den anderen, ihre Hand streifte gelegentlich meinen Arm, wie eine stumme Erinnerung daran, dass alle sie als meine Partnerin ansahen.
Doch mein Blick wanderte woanders hin. Selene saß allein am Rand des Saals, schlicht gekleidet, den Blick auf den Boden gerichtet. Die Verbindung zwischen uns zerbrach. Sie war schwach, aber eindringlich, und ich ignorierte sie.
Sie hätte nicht hier sein sollen, aber Ronan hatte darauf bestanden, dass die Wachen sie während einer Versammlung des gesamten Rudels nicht einsperren konnten, ohne Verdacht zu erregen.
Lyra hob ihr Glas. „Auf das Nachtschatten-Rudel“, sagte sie mit einem süßen Lächeln. „Und auf unseren Alpha, der niemals wankt.“
Applaus brandete auf. Ich zwang mir ein Lächeln ab und hob mein eigenes Glas. Ein Diener füllte es nach. Es war ein Rotwein, der im Licht glänzte.
Ich griff nach dem Glas, und da sah ich sie.
Selene stand plötzlich auf, ihre Augen weiteten sich. Sie war kreidebleich, ihr Gesicht weißer als Schnee. Ihr Blick huschte von meinem Glas zu einem der Diener und dann wieder zu mir.
Bevor ich etwas sagen konnte, bewegte sie sich blitzschnell. Sie durchquerte den Raum, schob Stühle beiseite und scheuchte Wölfe auf.
„Trink das nicht!“, schrie sie, und der Raum erstarrte.
Ich runzelte die Stirn und senkte das Glas. „Was?“
Doch sie hielt nicht inne. Sie riss mir den Becher aus der Hand, und bevor ich sie aufhalten konnte, trank sie ihn aus.
„Selene!“
Ich rief ihren Namen, aber es war zu spät. Sie hustete einmal, dann immer wieder. Dann glitt ihr das Glas aus den Fingern und zerschellte auf dem Boden.
Blut quoll aus ihren Lippen, und Schreie hallten durch den Saal.
„Selene!“ Ich fing sie auf, bevor sie zu Boden stürzte.
Ihr Körper zuckte in meinen Armen, ihre Augen verdrehten sich, Blut färbte ihren Mundwinkel.
„Holt den Arzt!“, bellte ich. Meine Stimme bebte vor Wut, die ich nicht mehr zügeln konnte.
„Jetzt!“, knurrte ich. Mein Wolf drohte, die Kontrolle zu übernehmen.
Lyra stand neben uns. Sie war wie erstarrt, die Farbe wich aus ihrem Gesicht, so schockiert war sie von Ronans Stoß, der nun Befehle brüllte.
Ich legte Selene die Hand an die Kehle. Ihr Puls war schwach und verblasste schnell.
„Bleib bei mir“, knurrte ich. „Wage es nicht –“
Ihre Finger zuckten gegen meine, und sie flüsterte mit schwacher, zitternder Stimme: „Ich habe dir gesagt … du sollst es nicht trinken …“
Dann erschlaffte ihr Körper, und mir wurde eiskalt. Um mich herum brach Chaos aus: Geschrei, Schritte, Panik.
Jemand hatte versucht, mich zu töten, und sie hatte stattdessen das Gift genommen.