Kapital3

1239 Words
Kapitel 3 Damons Sicht Ausgerechnet meine Gefährtin war ein Halbmondwolf. Von all den schrecklichen Dingen, die mir widerfahren konnten, war das das Letzte, was ich wollte. Ich starrte sie an und zwang mich zu einem ausdruckslosen Gesicht, um meine Gefühle nicht deuten zu können, doch innerlich kochte Wut in mir hoch. Jahrelang hatte ich ihre Art von meinem Land ferngehalten, jahrelang ihre Überfälle bekämpft, jahrelang mit ansehen müssen, wie sie zerstörten, was mir gehörte. Und nun hatte das Schicksal beschlossen, mich an eine von ihnen zu binden. Ich hätte Wut empfinden sollen, und das tat ich auch, doch tief in mir spürte ich etwas anderes, etwas, das ich nicht benennen wollte. Ich wandte mich an die Wachen. „Bringt sie zu mir nach Hause“, sagte ich mit emotionsloser Stimme. Ihnen blieb der Mund offen stehen. Sie sahen sich verwirrt an. „Alpha?“ „Sie wird bewacht. Niemand rührt sie an ohne meinen Befehl“, fügte ich hinzu. Sie zögerten, fragten aber dennoch. „Sollten wir sie nicht in die Zellen sperren?“ „Ich sagte mein Haus“, wiederholte ich mit schärferem Ton. „Nicht den Kerker.“ Ich atmete tief durch. Die Wachen nickten schnell und zerrten sie weg. Ich sah nicht zurück, als sie sie fortbrachten. Sobald sie fort war, atmete ich langsam aus, ohne es vorher bemerkt zu haben. Mein innerer Wolf drängte sich in meinem Kopf auf, unruhig und wütend. „Sie gehört uns“, knurrte er. „Sie ist eine Halbmond“, entgegnete ich scharf. „Sie gehört uns.“ „Ich habe Nein gesagt.“ Diesmal mit einem Tonfall, der endgültig war. Ich blendete ihn aus und schob ihn zurück. Ich brauchte seine Stimme jetzt nicht, nicht, wo meine Gedanken schon so wirr waren. Mein ganzes Leben lang hatte ich die Halbmonde verachtet. Sie hatten meinen Vater genommen, Häuser niedergebrannt und jeden Vertrag gebrochen, den wir ihnen angeboten hatten. Und nun war ich an eine gebunden, es fühlte sich an wie ein grausamer Scherz. Die Gedanken ließen mich nicht los, während ich zu meinem Büro fuhr. Als ich dort ankam, wartete Ronan bereits. Er lief unruhig auf und ab, die Arme verschränkt, und war wütend. „Was war das? Warum hast du sie nicht getötet? Sie ist eine Crescent, Damon“, sagte er in einem fordernden Ton. Ich antwortete ihm nicht, sondern ging an ihm vorbei, schenkte mir ein Glas Wasser ein und trank es langsam. Ich musste gefasst wirken, denn Ronan durchschaute mich sofort. „Weil ich es sage“, erwiderte ich und stellte das Glas ab. „Das ist keine Antwort“, entgegnete er. „Es ist die einzige, die du bekommst.“ Er runzelte die Stirn. „Du denkst, sie ist eine Spionin?“ „Ich denke, sie macht Ärger. Ich will sie am Leben lassen, bis ich weiß, warum sie die Grenze überquert hat“, sagte ich. Ronan schüttelte den Kopf. „Man lässt niemals Crescents am Leben.“ „Es gibt für alles ein erstes Mal.“ Er starrte mich eine Weile an. „Du verschweigst mir etwas.“ „Ich bin dir nicht jeden Gedanken schuldig“, sagte ich ruhig. Sein Kiefer verkrampfte sich. „Gut, aber ich muss wissen, wo ich sie unterbringen soll.“ „In meinem Haus. Bewache sie. Niemand darf sich ihr nähern. Ihr geschieht nichts, außer ich erlaube es.“ Ich sagte es, und er hielt inne. Ungläubig sah er mich an. „Dein Haus? Meinst du das ernst?“ „Tu, was ich sage, Ronan.“ Er zögerte lange, dann atmete er aus. „Du hast in letzter Zeit eine seltsame Art entwickelt, mit Feinden umzugehen.“ „Verschwinde“, sagte ich leise. Er drehte sich um und ging, die Tür hinter sich schließend. Die Stille, die folgte, war ohrenbetäubend. Ich setzte mich auf den Stuhl und presste die Hände zusammen. Ich konnte ihren schwachen Duft noch immer wahrnehmen. Er war schwaches Blut, Angst und noch etwas anderes. Etwas, das nicht in meine Welt gehörte. Der Himmel musste ein grausames Spiel mit mir treiben, und ich war der Narr darin. Ich wartete, bis es spät in der Nacht war, bevor ich beschloss, nach Hause zu gehen. Als ich ankam, richteten sich die Wachen an der Tür sofort auf. „Alpha.“ „Geht“, befahl ich. Sie verbeugten sich und gingen. Als ich das Zimmer betrat, saß sie am Fenster. Sie hatte die Arme um sich geschlungen, ihr Gesicht war blass und erschöpft, aber ihr Blick war ruhig. Sie zuckte nicht zusammen, als sie mich sah. „Alpha“, begrüßte sie mich mit leiser Stimme. „Selene“, erwiderte ich. Es fühlte sich seltsam an, ihren Namen auszusprechen. Sie senkte den Blick nicht. „Bist du jetzt hier, um mich zu töten?“ „Nein.“ „Warum?“ „Ich habe es mir anders überlegt.“ Sie lachte auf. „Das glaube ich dir.“ Ich ignorierte ihren Tonfall. „Warum bist du in mein Gebiet eingedrungen?“ „Das hatte ich nicht vor. Ich war auf der Flucht.“ „Vor was?“ Sie zögerte, ihre Kiefermuskeln spannten sich an. „Vor jemandem, dem ich nicht hätte vertrauen sollen.“ „Das sagt mir gar nichts“, sagte ich. Sie sah mir wieder in die Augen. „Gut, ich schulde dir nichts.“ Meine Wut flammte auf. „Du stehst auf meinem Territorium, Crescent. Du schuldest mir die Wahrheit.“ „Ich schulde dir nichts. Ich habe nicht darum gebeten, hier zu landen.“ „Du bist eingedrungen, du hast auf meinem Land geblutet. Du lebst nur, weil ich es zugelassen habe.“ Ihre Lippe verzog sich zu einem selbstgefälligen Lächeln. „Dann hättest du es vielleicht besser gelassen.“ Ich trat näher. „Vorsicht, Wolf, vergiss nicht, mit wem du sprichst.“ „Nein, ich weiß genau, mit wem ich spreche: mit dem Alpha, der meine Art hasst.“ „Und das habe ich auch.“ „Dann hasse mich ruhig, aber tu nicht so, als hättest du Mitleid damit, dass du mich am Leben gelassen hast.“ Ich presste die Zähne zusammen und unterdrückte den Impuls, sie anzuschnauzen. Ihre Worte sollten keine Rolle spielen, aber sie taten es. „Du hast Glück. Wäre es jemand anderes gewesen, wärst du tot.“ Ihr Blick verhärtete sich. „Du tust mir keinen Gefallen, du verzögerst nur, was du ohnehin tun wolltest.“ Stille breitete sich zwischen uns aus, sie war angespannt und bedrückend. Langsam stand sie auf und begegnete meinem Blick furchtlos. „Du musst nicht anerkennen, was auch immer zwischen uns ist, Alpha. Ich will es auch nicht.“ Sie sagte es, und ich erstarrte. Sie kam einen Schritt näher. „Du kannst mich freilassen. Ich werde gehen, ich werde verschwinden. Du wirst mich nie wiedersehen.“ Ihre Stimme war ruhig, doch ihr Herzschlag, den ich hören konnte, war gleichmäßig und sicher. Etwas in mir verkrampfte sich, es war scharf und seltsam. Mein Wolf knurrte protestierend. „Du gehst nirgendwo hin“, sagte ich. „Nicht, bis ich entschieden habe, was ich mit dir mache.“ Ich sagte es, und ihr Kiefer verkrampfte sich. „Dann entscheide schnell, denn ich werde dich niemals lieben.“ Die Worte trafen mich wie ein Schlag; sie waren leise, aber brutal. Ich starrte sie einen langen Moment an, dann wandte ich mich zur Tür.
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD